Kaufhaus in Regensburg. Quelle: Karl Seehausen via aspekte.zdf.de

Über Geschmack lässt sich streiten – und auch darüber, was eine Bausünde ist. “Eine gute Bausünde hat einen sehr starken Wiedererkennungswert, hat Mut, greift daneben und sprengt den Kontext”, wie die Architekturhistorikerin Turit Fröbe in einem sehenswerten Beitrag auf dem Themenportal “Die schönsten Bausünden” der Sendung “aspekte” formuliert. Auf ihrem Gang durch Bielfelder Einfamilienhaussiedlungen zeigt sich ihr humorvoller Blick auf die Architektur-Skurrilitäten, die es überall zu entdecken gibt.

Auf dem Internetportal zur Aktion “Die schönste Bausünde” kann jeder Fotos von architektonischen Kostbarkeiten und Besonderheiten hochladen und kommentieren. Sehenswerte Perlen, wie das oben gezeigte Regenburger Kaufhaus, können in der online-Galerie entdeckt werden. Ziel der Aktion ist, einen liebevollen Blick auf (vermeintliche) Bausünden zu werfen und auf deren darin schlummernde Einzigartigkeit aufmerksam zu machen. Eine bemerkswerter Ansatz – überwiegt doch häufig eine eindimensionale Sicht in den Debatten um Schönheit & Hässlichkeit von Bauwerken.

Dies betrifft momentan vor allem Bauwerke der 1960er und 1970er Jahre – ein nicht immer leicht zugängliches Architekturerbe. Um so wichtiger ist die Auseinandersetzung mit diesen Bauten, denn nicht alles, was aneckt, auffällt und nicht dem Gewohnten entspricht, ist eine Bausünde. Seit einigen Jahren gibt es Initiativen, die es sich – direkt oder indirekt –  zum Ziel gemacht haben, die Visionen und Ideen dieser Bauzeit zunächst für sich selbst zu ergründen und in einem zweiten Schritt an andere Menschen weiter zu vermitteln.

Dazu zählen zum Beispiel die Werkstatt Baukultur Bonn oder Tagungen wie “Plätze und Klötze” (urbanophil berichtete) und auch urbanophil, das als Netzwerk immer wieder über einzelnen Bauten dieser Zeit und ihrem aktuellen Status schreibt oder ihnen eine Veranstaltungsreihe widmete, in der mal spielerisch, mal filmisch, mal diskursiv Aspekte dieser Zeit beleuchtet werden.

Auch in Zukunft wird urbanophil die Arbeit zu Architektur und Städtebau der 1960er und 1970er Jahre auf dem Weblog und in Veranstaltungsformaten nicht nur kontinuierlich fortführen, sondern auch verdichten. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Formulierung einer Daseinsberechtigung eines jeden Vertreters dieser Zeit. Es ist uns jedoch ein Anliegen, durch Forschung (Aufklärung, Erläuterung, Dokumentation) ein Bewusstsein für diese Epoche zu schaffen. Dabei bewegen uns folgende Fragen:

  • Was ist die Charakteristik dieser Bauten?
  • Warum gibt es ein so spezifisches Farbkonzept?
  • Welches Verständnis von Gesellschaft und Lebensraum lässt sich aus den Bauten dieser Zeit ablesen?
  • Warum gibt es immer noch keinen Namen für diese Bauzeit?

Der besondere Reiz dieser Bauepoche geht also über die Begeisterung für die Farben gelb, grün, orange, braun und die Soft-Edge hinaus. Im Gegensatz zu älteren Bauwerken leben die meisten Architekten, Künstler, Städtebauer dieser Zeit noch. Alle Interessierten und Kritiker (!) haben also die Chance, mit den Menschen hinter diesen so genannten Bausünden zu sprechen. Vermutlich wird es aber trotzdem noch eine Weile dauern, bis in den Diskussionen um schwierige Bauwerke diese nicht immer gleich als Bausünde betitelt werden – und damit ein mitunter vorschnelles Urteil gefällt wird.

Quelle: Christian Kloss 2009.

Umstrittene Schönheit: Der Bierpinsel – Logo der Aktion “Die schönste Bausünde”. Foto: Christian Kloss