Sebastian Strombach: U-Bahnhof MuseumsinselQuelle: Sebastian Strombach

Unser Gastautor Sebastian Strombach berichtet von seinem Erstbesuch im Humboldt-Forum und lädt ein zu seiner Führung durch das Berliner Schloss am 28.10.2021, 15 Uhr.

Das Beste zuerst: U-Bahnhof Museumsinsel, Ausgang in Fahrtrichtung Hönow, dann obere Verteilerebene rechts halten, Rolltreppe an die Oberfläche benutzen. Stückchen für Stückchen taucht das Schloss mit Kuppel auf, eines der grandiosesten Erlebnisse im U-Bahnnetz, neben der Glasbrücke über den Landwehrkanal an der Möckernbrücke! Wem das Schloss nicht gefällt, kann gleich an Ort und Stelle mit der anderen Rolltreppe wieder hinunterfahren und das Gebäude langsam im Grund wieder versinken sehen (bitte Vorsicht beim Rolltreppen-Rückwärtsfahren).

Durch das Eosanderportal unter der vermaledeiten Kuppel geht es dann schnurstracks ins Foyer des Humboldt-Forums. Das Portal ist eine Replika des römischen Septimus-Severus-Bogen, nur größer, viel größer. Bevor es ins Foyer geht, biegen wir scharf rechts ab, gehen logischerweise eine halbe Treppe hoch, um ins archäologische Fenster eine ganze Treppe nach unten zu gehen. Mein Besuchs-Zeitfenster hat sich leider noch nicht geöffnet, aber hier befindet sich zum Zeitvertreib der zweite Museumsshop – oder wie es sich ja inzwischen rumgesprochen hat – der zweite “Lampenladen”. Der Palast der Republik hat seine Spuren im Berliner Schloss, offiziell genannt Humboldt-Forum, hinterlassen. Jedenfalls kann mensch jetzt Erichs Lampen kaufen, oder sehr viel preisgünstiger meinen Schlosscomic im gleichen Geschäft. Jedenfalls taucht der Palast allerorten im Forum / Schloss auf: z.B. im Rolltreppenflügel, der alle vier Etagen des Schlosses zentral erschliesst.

Nur vier Etagen? Ja, aber gigantische Sechs-Meter-Luftraum-Etagen, keine normalen Geschosse. Die Rolltreppen- Treppenanlage ist dementsprechend riesig und ganz am Ende der Flughafengänge liegen versteckt die Zugänge zu den verschiedenen Ausstellungen. Auf dem Grundriss sieht das sehr übersichtlich, ganz einfach aus. Aber wer das Schaubild des Wegeleitsystems studiert, mit seiner Fülle von Piktogrammen und bunten Nutzungsbereichen ist komplett konfus. Genau neben dieser Informationsflut ist das historische Wegeleitsystem des Palastes angebracht. Das macht sich gar nicht mal schlecht im Schloss, und ehrlicherweise ist die neue Architektur Franco Stellas gar nicht so unähnlich dem ollen Palast. Viele glatte, weisse Oberflächen, Chrom und Glas. Die gläserne Blume aus dem Palast-Foyer hätte sich hier sehr wohl gefühlt, aber die Urheber wollten keine Umtopfung bzw. Translozierung. Gut wäre es, die farbigen Palast-Teppiche auf den oberen Etagen zu übernehmen, dann hätte – wie im Palast – jede Schloss-Etage ihre eigene Farbe. Die Teppichmuster sind übrigens erhalten!

Doch wir wollten ja eigentlich in den Keller. Die für den U-Bahnbau gezogene Pfahlgründung des Schlosses weist uns den Weg in die Tiefe. Die von der Decke hängenden uralten Bäume sind dann auch das einzige sinnlich, selbsterklärende und räumlich eindeutige Element dieses Ausstellungsfragments. Unten stolpert mensch durch ein Labyrinth aus Mauern, orientierungslos und textlich sinnentleert: „hier (wo?) befand sich eine Fernwärmeleitung aus DDR-Zeit…“. Was hätte hier im Originalkeller alles erzählt werden können, gerade mit den Spuren von mittelalterlichen Kloster-Heizsystemen, barocken Ofenkacheln und kaiserlichen Heizungsventilatoren!

Im Keller funktioniert nichts miteinander. Der erklärende Text steht neben dem Objekt, nichts ist sinnlich gestaltet und einzig die Touchscreens sollen es richten. Deren virtueller Sand, aus dem mensch Dinge ausgraben darf, hätte sich gut als echter Sand auf dem neuen Betonboden gemacht… aber bloß nicht irgendwelche Metaphern vom Sand der Zeit! So erzählen die Sprenglöcher der Schlosssprengung nicht vom Tod eines Gebäudes (ist ja eine Ortstradition) und auch nicht vom neuen Gebäudemassiv, dessen Beton-Unterzüge hier die Decke so tief machen, aber dann müsse derdie BesucherIn ja informiert werden, wo sieer ist! Die Geschichte des Ortes – hier nicht. Aber was im Keller nicht passiert, überrascht im ersten Obergeschoss. Eigentlich hätte ich ja zwecks Funktionsmischung die Stadtbibliothek lieber dort gesehen, doch Michael Müller wollte eine Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums. Ja, ja so ein Ding für Touris – oberflächlich und mit bunten T-Shirts. Und genau so ist es: Bunt und die T-Shirts finden sich auch – aber oberflächlich? Nein! Was im Keller so lustlos und schwer ist, ist hier leicht, unbekümmert und gleichzeitig hintergründig und stellt Fragen.

Fragen zum Ort, über die Geschichte und besonders: was ist denn jetzt? Da geht es los mit Revolution, denn genau hier auf dem Schlossplatz gab es ja viele. 1848, 1918 und 1989. Aber nicht nur hier. Mittels eines interaktiven Stadtplans erfährt mensch, wo z.B. Benno Ohnesorg erschossen wurde, mit Blick auf den Schlüterhof, wo 1848 die erschossenen Revolutionäre vor dem dicken König aufgebahrt wurden. Was wie wo – im Keller erfahre ich davon nichts. In der Berlin-Ausstellung informiert eine Laufschrifttafel, welche Demonstrationen am aktuellen Tag in Berlin laufen. Ich bekomme Informationen über Freiräume, über den Palast der Republik und über T-Shirts: aus welchen Ländern diese heute kommen, aber auch, dass die jüdische Modeindustrie Berlins von den Nazis arisiert wurde und dann – wieder am Fenster zum Hof – ein Bild-Vergleich von den Uniformen des Kaisers (täglich drei) und den Uniformen der BedienstetInnen des Palastes der Republik (malvenfarbige riesige Fliege für die Kellner). Und dann ist da die Geschichte von Bayume Mohamed Husen, geboren in Tansania – er kämpfte für den Kaiser und nicht für sein Mutterland im Ersten Weltkrieg. Zog nach Berlin um seinen Sold einzufordern, hielt sich als Komparse für stereotypische Darstellungen der “Schwarzen Rasse” in Babelsberg über Wasser, um dann von den Nazis wegen einer Liebe zu einer „arischen“ Frau ermordet zu werden. Daneben ein vor fünf (!) Jahren aus den Verkehr gezogenes Songbuch der Bundeswehr, in dem die Treue der “Schwarzen Truppen” im “gerechten Kampf um die deutschen Kolonien” glorifiziert wurde. Ja, Berlin kann Schloss.

Wäre das eigentlich auch im umgebauten Palast der Republik möglich gewesen? Nein. Der Beweis: Ausgang Berlin-Ausstellung. Ein schlecht beleuchtetes, künstlerisch fragwürdiges Ölgemälde an der Wand. Davor eine mikrige Kopie der Prinzessinnengruppe von Schadow, in einer Vitrine. Die Damen auf dem Gemälde im 1980er-Look, in der gleichen Pose wie die preußischen Prinzessinnen. Ein Schild klärt auf: die Prinzessinnenskulptur stand im Original genau in diesem Raum im Schloss. Das Gemälde zeigt Annette und Inga Humpe in Öl. Der Maler ist mein ehemaliger Prof Matthias Koeppel. Treffer in meine gar nicht so preußisch-blaue Augen.

*** Sebastian Strombach, Autor des Comics “Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss“, erschienen 2020 bei Urbanophil, führt am Donnerstag, 28.10. um 15 Uhr durch das Humboldt-Forum. Vielleicht eine Gelegenheit zu einem eigenen Erstbesuch in der Schlossreplik? ***