Im Berliner Maxim-Gorki-Theater feierte am 18. Oktober 24 die Theateradaption von Franziska Linkerhand Premiere, im Kino läuft seit dem 24. Oktober der Film „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“. Beides handelt von Frauen in der Architektur im 20. Jahrhundert. In beiden Fällen geht es um Macht, Einfluss und die Selbstbestimmung, aber auch – im Kino mehr als im Theater – um die jeweils persönliche Biografie, die eigene Gedankenwelt und Weltanschauung der dargestellten Künstlerinnen. Die zufällige Gleichzeitigkeit dieser beiden Produktionen regt eine gemeinsame Rezension an.

E.1027 Eileen Gray und das Haus am Meer, Filmstill, Copyright: RISE AND SHINE CINEMA
Jean Badovici (Axel Moustache) und Le Corbusier (Charles Morillion) im Garten des Hauses am Meer, Filmstill aus „E.1027 Eileen Gray und das Haus am Meer“, Copyright: RISE AND SHINE CINEMA

Die True Story zum Film

Zunächst die True Story hinter dem Film: 1926-29 baute sich die irische Designerin Eileen Gray (1878-1976) eine Villa in Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d’Azur. Es war das erste von ihr entworfene Haus, ein zurückhaltendes und avantgardistisches Meisterinnenwerk, das internationales Ansehen gewann. Der technisch-kryptische Name E.1027, den Gray für das Haus wählte, ist eine Kombination aus ihren Initialen und denen des Architekten und Journalisten Jean Badovici, ihrem damaligen Lebenspartner, mit dem sie das Haus gemeinsam errichtet hat und dem sie es nach ihrer Trennung überließ.

Auf Einladung Badovicis besuchte dessen Freund Le Corbusier 1937 die Villa. Er war von ihr so fasziniert, dass er sie für sich aneignete, später sogar die Wände mit Wandmalereien versah – offenbar ebenfalls auf Einladung oder zumindest mit der Zustimmung Badovicis. Erst als Le Corbusier Fotografien davon veröffentlichte, sah Eileen Gray die Malereien und forderte deren Rücknahme. Sie empfand die ungebetenen Zutaten an ihren weißen Wänden als Vandalismus. Le Corbusier jedoch ignorierte ihren Wunsch. Die Fachwelt nahm Grays Haus teilweise sogar als Werk Le Corbusiers wahr, was er auch nicht wirklich korrigierte. Stattdessen baute er im Jahr 1952 gleich 20 Meter nebenan sein Holzhaus Le Cabanon, das die Wahrnehmung des Ortes seitdem dominiert. Noch heute liegt E.1027 an der Sentier Le Corbusier.

Malerische Bilder, zu viele Worte

Die Regisseurin Beatrice Minger mit Christoph Schaub als Co-Regisseur erzählen diese Geschichte sehr nah an den Personen, aus der Ich-Perspektive, die meist bei Eileen Gray liegt, dann und wann auch zu Le Corbusier wechselt. Obgleich diese Monologe auf der emotionalen Ebene spielen, wirken sie manchmal übererklärend oder sogar redundant. Das gilt insbesondere auch für die eher wenigen Dialoge, die meist in der Theaterkulisse eines Büro-Ateliers platziert sind.

Die verletzten Eitelkeiten und die Eifersuchten der einzelnen Personen auf der beruflichen wie der privaten Ebene, die Enttäuschungen sowie ihr unterschiedliches Empfinden darüber, was Architektur sein soll, werden insbesondere zu Anfang des Films etwas holzschnittartig als „männliche“ und „weibliche“ Herangehensweisen an Architektur platziert – „eine Maschine“ vs. „ein Körper“. Es scheint, als ob die Regisseur:innen befürchtet hatten, man könne es nicht verstehen. Oder ein Kinofilm durch mehr Dialoge vielleicht anschlussfähiger ist.

Doch die Lichtstimmungen, die Farben, die Aufnahmen des Hauses und die Bilder des Lebens darin fangen beeindruckend atmosphärisch die Idee der Architektur ein, die umwerfende Schönheit der Räume und ihrem Interior; die Gestik und Mimik von Eileen Gray (Natalie Radmall-Quirke) machen die Emotionen auf berührende Weise deutlich. Die malerischen Bilder zeigen, mit welcher Klarheit, Transparenz und Offenheit Eileen Gray an ihre Entwürfe ging. Die eingeflochtenen historischen Originalaufnahmen bilden eine gelungene atmosphärische Ergänzung und Realitätsnähe.

Die True Story hinter Linkerhand

Maxim Gorki Theater, "Linkerhand", Maria Simon, Till Wonka & Katja Riemann © Ute Langkafel MAIFOTO
Maxim Gorki Theater, „Linkerhand“, Maria Simon, Till Wonka & Katja Riemann © Ute Langkafel MAIFOTO

Eine gewisse Übererklärung des Themas Architektur fällt bei der Bühnenadaption von Franziska Linkerhand auf, die derzeit im Maxim Gorki Theater in Berlin aufgeführt wird. Dabei ist bei Linkerhand vielleicht, wesentlich stärker als bei Eileen Gray, die Architektur doch eine Metapher, ein handfester roter Faden für eine gesellschaftliche und biografische Analyse. Zur True Story hinter Linkerhand: Die Schriftstellerin Brigitte Reimann kam Anfang 1960 nach Hoyerswerda Neustadt, wo sie im Sinne des Bitterfelder Weges mitunter für die literarische Bildung der Werktätigen tätig sein sollte. Sie erlebte dort den Aufbau der „neuen Stadt für den neuen Menschen“, beobachtete die realen Entwicklungen der sozialistischen Idee und hatte zugleich noch mit ihrer eigenen Biografie als Tochter eines traditionellen Hauses zu arbeiten. In der Figur der jungen Architektin Franziska Linkerhand, die Brigitte Reimann für das anfangs als Entwicklungsroman gedachte Werk entwickelte, vereinte sie diese beiden Stränge. 20 Jahre schrieb sie an dem Roman, letztlich wurde er nach ihrem Tod 1974 als unvollendetes Fragment publiziert.

Architekturvermittlung auf der Bühne

Linkerhand, Alexandra Sinelnikova, Katja Riemann & Maria Simon © Ute Langkafel MAIFOTO
Linkerhand, Alexandra Sinelnikova, Katja Riemann & Maria Simon © Ute Langkafel MAIFOTO

Wenn am Anfang des Stücks die drei Persönlichkeiten von Franziska Linkerhand, gespielt von Alexandra Sinelnikova, Katja Riemann und Maria Simon, lautstark die Bühne betreten und die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges kommentieren, hofft man auf einen biografischen Zugang, der sowohl in die literarische Figur als auch in die Schriftstellerin dringen wird. Dies verliert sich im Lauf des Stückes. Im Fokus stehen dann die Stadtgeschichte Hoyerswerdas und die architektonischen wie städtebaulichen Prinzipien der DDR, die als menschenfeindliche Fehlentwicklungen dargestellt werden und in dieser Logik in die Pogrome vom September 1991 führen. Von der Decke hängen als Damoklesschwert Nachbildungen von Plattenbauteilen.

Franziska kämpft um ihre Ideen, um deren Realisierung, zweifelt irgendwann an der realen Übersetzung der Grundsätze des Städtebaus der DDR, die als Video hübsch auf eine an Fritz Kühns Plastiken erinnernde Leinwand projeziert werden. An diesen Stellen wird das Stück zur Vermittlung von Architekturgeschichte und gleichzeitig leider zu einer einseitig negativen Rezeption des Bauens in der DDR. Gerne hätte man stattdessen mehr in die innere Gedankenwelt der Charaktere geschaut: Franziska, der Funktionär, Richard Paulick, die am realen Leben verzweifelte Freundin, der treue Kommunist – sie alle bilden ein Panorama der einst so hoffnungsfrohen Neustadt, das eher oberfächlich bleibt. Brigitte Reimann kommt nicht mehr vor.

Für Architekturfachleute wird es in dem Moment unangenehm, in dem Franziska bei einem relevanten Kongress in Berlin ein Plädoyer für eine neue Architektur hält. Plötzlich spricht sie im Heute, greift aktuelle Debatten zu einer Architektur der Nachhaltigkeit auf. Hier wäre es schöner gewesen, das Theater wäre historisch geblieben. Was hätte denn Franziska Linkerhand in den 60er Jahren vorgetragen, um den im Stück gezeigten, so vermeindlich unvermeidbaren Niedergang der Stadt aufzuhalten?

Nächste Termine:
Linkerhand, Maxim-Gorki-Theater, Berlin
Regie: Sebastian Baumgarten
28.10.24, 19:30 Uhr
25.11.24, 19:30 Uhr

E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer
Schweiz 2024, 89 Min, Farbe
Drehbuch: Beatrice Minger in Zusammenarbeit mit Christoph Schaub
Cast: Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache, Vera Flück, Charles Morillion
Verleih: Rise and Shine Cinema
seit 24.10.24 im Kino