Rathaus von Cuenca, eigene Aufnahme

Rathaus von Cuenca, eigene Aufnahme

Ein Logo auf einem gekauften Souvenir-T-Shirt am „Mitad del Mundo“ Denkmal am  Äquator – beziehungsweise in seiner Nähe, die ursprünglichen Messungen hatten sich um knapp 240 Meter geirrt – trägt die Aufschrift: „!Mucho Mejor! Si es hecho en Ecuador“. Auf den ersten Blick sieht es wie eine logische „Buy local first!“  Interpretation  aus – „Es ist viel besser wenn es in Ecuador hergestellt wurde“ – und scheint Hand in Hand mit den landesweiten Initiativen zu gehen, welche den Tourismus als Wohlstandsgewinn für alle herausstellen wollen. „Begrüße einen Touristen stets mit einem Lächeln!“ steht auf einem Plakat in Quitos Innenstadt. Doch in der Aussage liegt ein entscheidender Irrtum im kulturellen Selbstverständnis des Landes – das dahinter implizierte Selbst- und Nationalbewusstsein fehlt dem Land im Gegenteil vermeintlich komplett. Für die Mehrzahl der Einwohner scheint alles andere besser zu sein als die eigene Kultur. Und trotz eines reichen urbanen Erbes – unter anderem wurden mit Quito und Cuenca zwei Städte komplett von der UNESCO unter Welterbeschutz gestellt, Quito seinerzeit sogar als erste Gesamtstadt überhaupt – trifft das besonders auf die städtische Kultur zu. Umso bezeichnender ist, dass das ganze Land seit Rafael Correas erster Präsidentschaft 2007 zumindest augenscheinlich und von den hunderten Plakaten im öffentlichen Raum her von einer „Revolucion Cuidadana“ erfasst ist.

Ganz allgemein entdeckt man als Reisender eine eigenwillige Präsenz und Ausprägung von Stadt. An der Costa – dem bevölkerungsreichen Küstenland – findet man vermehrt informell wachsende, morphologisch-organisch wachsende Gebilde „in transition“. Der urbane Code liest sich wie in vielen anderen Dritte-Welt-Ländern und Arrival Cities: nicht fertig gebaute oder verputzte Bauten zeugen von fehlendem Kapital oder haben steuerliche Gründe, es gibt kaum definierten oder gepflegten öffentichen Raum, viele Etablissments und Geschäfte warten auf Formalisierung oder operieren jenseits davon und die fehlende Präsenz des Staates beziehungsweise die vermutete Korruptheit seiner Exekutiv-Gewalt wird durch lokale Selbstorganisation wie Bürgerwehren ausgeglichen. Im Oriente –  dem kaum besiedelten Flachland östlich der Anden – machen die Städte den Eindruck, lediglich „Brückenköpfe“ der Zivilisation zu sein. Brückenköpfe zum einen der Ölfirmen zur Erschließung der Quellen im Urwald, zum zweiten für die Indigo-Communities des Amazonas-Beckens und zum dritten für die Urwald-Touristen. Die Sierra – das zentrale Andenhochland –  ist die konservativste, traditionellste und dadurch irgendwie anheimelndste Gegend der drei Regionen des ecuadorianischen Festlands. Hier trifft der Urbanist dann endlich auf vermeintlich „richtige“ Städte mit öffentlichen Plätzen, gut ausgebauten Infrastrukturen, städtischen Universitäten, so herrlich lateinamerikanisch postmodernen Busbahnhöfen und Rathäusern, alten Kirchen und anderen Zeugnissen eines urbanen Erbes. Auf der anderen Seite findet man aber keine wirklich wahrnehmbaren Stadtgrenzen sondern stattdessen eine in die gesamten Täler hineinreichende, kleinteilige Zersiedlung. Und die Lebensweise scheint – mit Ausnahme der wahrhaft städtischen Einwohner Cuencas und Quitos  – eher eine Art „Ackerbürgertum“ mit einer sehr stark ausgeprägten Marktattitüde in den  „Städten“ als Zentren der jeweligen landwirtschaftlichen Provinz zu sein.

Der Markt ist hier fürwahr eine „Totale Institution“ und findet von Region zu Region an unterschiedlichen Tagen statt.   Dieser Markttag ist, was die Geschäftszeiten betrifft, wichtiger als die eigentlichen Wochentage und neben dem Handel wird er mit Festen, Umzügen, Musik, Turnieren und anderen gesellschaftlichen Ereignissen zelibriert. Die Einwohner der umliegenden Dörfer und LPG-ähnlichen Bauernbündnisse bieten nicht nur ihre Ware an sondern decken sich auch gleich mit allen benötigten Gütern  für die nächste Woche ein. Denn die entlegendsten Gehöfte, Genossenschaften und Communities werden oftmals nur an diesem einen Tag der Woche von den landestypischen Bussen, Sammeltaxen und Kleinlastern angebunden. Die Marktteilnehmer haben praktischerweise ihr Kapital auch immer und überall dabei – meistens handelt es sich nämlich um lebende Hühner. Und nicht nur die meisten Güter sind mobil, auch die Preise sind recht flexibel – hier ist dann Raum für Aushandlungen, ein wahrhaft urbaner Ort also. Und diese Urbanität ist, wie so oft, sehr anstrengend. Nicht nur hier kommen nämlich auch noch andere oberflächlich entdeckte kulturelle Eigenarten des Landes zum Tragen.

"urbanes" Transportmittel, eigene Aufnahme

“urbanes” Transportmittel, eigene Aufnahme

So scheint Ecuador das Land des Lärms zu sein. Und dabei ist es egal, ob es sich um ein touristifiziertes und dadurch vom Geräuschpegel her noch nachvollziehbar lautes Surfer-Paradies an der Küste, eine Kommune im tiefsten Dschungel, ein  entlegendes  Bergdorf oder ein Naherholungsgebiet um eine der großen Städte handelt: Lautsprecher für örtliche Durchsagen, fliegende Händler mit Megaphonen und Musikanlagen für Latinoklänge sind allgegenwärtig und für das europäische Ohr viel zu laut. Selbst die Müllautos kündigen sich mit zum Teil eigens komponierten Canciones de la Basura – „Müllsongs“ – an. Es ist auch immer der vermeintlich falsche Lärm wie laute Technomusik im Urwald oder ein penetrantes Hahnenkrähen morgens um drei mitten in der Stadt zeigen. Der kleinste Andenstaat ist zudem das Land der Unverbindlichkeiten und zwar egal ob bezüglich von Preisen, (Abfahrt-)Zeiten oder Informationen. So gibt es auch zwei Zeitsysteme: 1) ecuatorianische Zeit, in welcher man stets zu spät kommt und 2) tatsächlich so genannte „Deutsche Zeit“, in welcher man dann pünktlich zu sein hat und die zumindest in der oberen Geschäftswelt üblich ist. Ecuador verdient wohl leider auch den Titel, das Land des schlechten Essens zu sein. Es gibt zwar richtig leckere Sachen wie Ceviche de Camaron (eine kalte Shrimps-Limonen-Suppe), Ballones (Teigbälle), Humitas (Mais-Puree in Bananenblättern), Pan de Yuca (so herrlich geschmacksneutrale Wurzel-Mehl-Brötchen) und jede Menge frisches Obst.  Aber irgendwie immer nur einmal im ganzen Land, ansonsten gibt es ÜBERALL und JEDERZEIT Seco de Pollo (trockenes Huhn) mit Reis und roter Beete! Wahrscheinlich könnte man hier das kürzeste Buch der Sachbuchgeschichte schreiben: Buchtitel: „Als Vegetarier durch Ecuador“Seite 1: Viel Glück! – Ende. Die gravierendeste Beobachtung eines oberflächlichen Reisenden lässt indes die Bevölkerung noch als  die hasserfüllte Nation erscheinen. Allgemein gibt es unter den anderen Südamerikanern schon den Ruf, dass die Menschen Ecuadors so unfreundlich seien. Auch emperisch und phänomologisch scheint sich dies leider zu bestätigen – von den Mitarbeitern in der Berliner Botschaft bis hin zur Bedienung in den Restaurants. Man muss für diese Erkenntnis oder besser Vermutung auch keine einschlägigen Reiseführer gelesen haben, es reicht wenn man sich einfach eine Stunde auf einen Platz setzt, die Menschen beobachtet und die vielen verschiedenen Rollen entdeckt, die mitunter die gleichen Personen unterschiedlichen Mitmenschen gegenüber einnehmen. Auf den zweiten Blick fällt dann nämlich auf, dass es gar nicht so sehr eine gegen Ausländer, Touristen, sprich FREMDE, gerrichtete Unfreundlichkeit ist, sondern vor allem untereinander vorherrscht. Schaut man dann noch genauer hin, wird klar, dass es sich um Aversionen unterhalb der einzelnen Klassen handelt. Die unterste Kaste sind die Indigos und diejenigen, deren Lebensstil noch in diese traditionalle Richtung geht und die von den anderen Schichten lediglich als „ständig im Bus fahrende und eines ihrer Kinder säugende Frauen“ wahrgenommen werden. Jegliche Bezeichnung oder in Verbindung-Setzen mit Indigos wird von den leicht darüber stehenden Mestizen daher auch als Beleidigung und Ehrverletzung aufgefasst. Die dann folgende obere Unterschicht bzw. die untere Mittelschicht ist die präsenteste Gruppe im öffentlichen Raum und Leben – sie ist auch die unfreundlichste, und zwar sowohl nach unten als auch gegenüber FREMDEN. Die Oberschicht tritt kaum in Erscheinung oder zieht sich in ihre Wohlstandsenklaven zurück. Sehr stark ausgeprägt ist auch das regionale oder lokale Zugehörigkeits- und Abgrenzungsempfinden: die Menschen der Sierra hassen regelrecht diejenigen der Costa und umgekehrt. Ein Präsidentschaftskandidat muss auch immer einen Vize aus der jeweils anderen der beiden Regionen als seiner eigenen benennen, um überhaupt eine Chance auf Wahl zu haben! Und zu guterletzt bestehen „natürlich“ die finanziellen Barrieren zwischen den sehr wenigen (Super-) Reichen und den vielen Armen, was sich auch in den zahlreichen Gated Communities um die großen Städte herum manisfestiert.

"Als Vegetarier durch Ecuador", eigene Aufnahme

“Als Vegetarier durch Ecuador”, eigene Aufnahme

Und genau das ist das Stichwort – „Communities“ – das Land Ecuador wird nicht von einer Gesellschaft gebildet, welche sich auf einen Liberalen Freiheitsbegiff (USA), ein Nationalgefühl (Frankreich) oder sein kulturelles Erbe (Großbritannien) beruft, sondern von mehreren „ParallelGEMEINSCHAFTEN“! Das formalisierte, urbane Regelwerk für einen Umgang untereinander, ohne sich kennen, identizizieren oder abgrenzen zu müssen ist kaum ausgeprägt. Auch der Blick in die Geschichte zeigt Indizien dafür beziehungsweise gibt Erklärungen für diese Phänomene. So handelte es bei den Befreiungskriegen gegen Spanien nicht um eine vom Volk oder von den Bürgern initiirte Revolution, sondern um eine separatistische Bewegung der von den Spaniern selbst eingesetzten (ökonomischen) Elite – allen voran Simon Bolivar und Marshal Sucre. Die darauf folgenden 150 Jahre ließen zudem keine einigende lateinamerikanische Identität aufkommen, sondern waren geprägt von ständigen innere Zerwürfnissen, Kriegen und Streitigkeiten zwischen den Ländern, Putschen, Staatsstreichen und Diktaturen. Selbst die Auslegung der castillianischen Sprache bezeugt, wie schwierig eine Ecuadorianische Identität entstehen mag:  es gibt keine 2.Person Mehrzahl und auch das „Du“ wird – im Gegensatz zu Spanien – fast gar nicht benutzt! Die einzige merkliche Ausnahme sowohl für ein eigenes Selbstbewusstsein als auch ein Kollektiv-Gefühl ist das Tanzen. Hier fallen sämtliche Barrieren und Unterschiede werden irrelevant: alle tanzen gemeinsam, wann immer es geht.

Interessanterweise zielen nun mehrere landesweite Kampagnen und politische Programme genau auf diesen Umstand der nationalen Identitätskrise und gesellschaftlichen Verhaltensweise ab. Die internationalen Werbeslogans und das Ecuador-Logo lauten „Ama la Vida“ (Liebe das Leben!), „La Vida Pura“ (Das pure Leben) oder „Ecuador eres tu“ (Ecuador – Das bist Du!). Und so relativiert sich auch der anfangs genannte Aufnäher auf ecuadorianischen Produkten und Souvenirs. Das sicherlich faszienierendste und ambitioniertste Projekt  ist  aber zweifelsohne das Regierungsprogramm des Präsidenten Rafael Correa: die  „Revolucion Ciudadana“! Ciudad heisst übersetzt Stadt, handelt es sich also um eine „Städtische Revolution“?

ehemaliger Slum in Guayaquil, eigene Aufnahme

ehemaliger Slum in Guayaquil, eigene Aufnahme

Correa ist ein in den USA promovierter Ökonom. Er gründete während einer der zahlreichen politischen Krisen der letzten 15 Jahre – einige seiner Vorgänger gaben die eigene Währung zugunsten des US Dollar auf oder wurden vom aufgebrachten Mob ins Exil gejagt – seine eigene linksgerichtete Partei und propagiert den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Sein wohl aussagekräftigtes Zitat lautet: “Der Markt ist ein ausgezeichneter Diener, aber ein schrecklicher Herr” und auch die Gründung des „MIES“ – des „Ministeriums zur Verbindung von Wirtschaft und Sozialem“ geht damit einher. Als eine der ersten Amtshandlungen – neben einer weitgehenden Verfassungsänderung – verstaatlichte Correa die Ölförderung und verkaufte die gesamte Fördermenge der nächsten 15 Jahre an China und gibt dieses Geld nun für Infrastrukturprojekte, Bildung und Gesundheit aus. In diesem Sinne ist seine Politik also sehr wohl „städtisch“. Kritiker werfen ihm zwar vor, dass er nur Bau- und Investitionsmaßnahmen ergreift,  die seine Wähler auch sehen können und ihn deshalb potentiell wieder ins Amt wählen werden, während dann nach seinen Amtszeiten das vorgestreckte Geld zu neige gehen wird. Positiv kann man aber dagegenhalten, dass vor seiner Zeit in den 1990er Jahren kaum etwas vom Ölreichtum in der breiten Bevölkerung ankam sondern lediglich den Eliten und ausländischen Unternehmen zu Gute kam. Neben den landesweiten und flächendeckenden Verkehrs- und Sozialinfrastrukturprojekten fliesst das Geld nun auch in Reurbanisierungs- und städtische Aufwertungsprojekte vor allem der Großstädte. Hier ist Correa dann  Machtpolitiker durch und durch indem er vor seiner Zeit angestoßene Initiativen vor allem in den beiden Metropolen Quito (das Trolley-Bus-System, die autofreien Sonntage oder die Reviatilisierung der Ronda, des ehemaligen Strichs) und Guayaquil (die Uferpromenade „Malecon 2000“ oder die Slum-Aufwertung „Las Penas“) einfach fortschreibt, sollten die dahinterstehenden Initiatoren allerdings politische Konkurrenten sein, diese einfach diskreditiert oder ihre Urheberschaft der städtischen Aufwertungsprojekte herunterspielt. Auch einige seiner sozialistischen Vorhaben stocken wie beispielsweise die Rückverstaatlichung der Telekomunikationsgesellschaften – die internationalen Unternehmen „Movistar“ und „Claro“ sind einfach zu mächtig. Zumal damit auch eine Parallelität zwischen der städtischen und der Telekomunikationsrevolution einhergeht  – zwar erreichen die neuen staatlichen Straßenprojekte auch die entlegendsten Gegenden im Oriente, doch die Verbreitung von Handy und Internet und damit die kulturelle Invasion der westlichen Popkultur sind weitaus schneller!

gar keine so "miese" Verbindung, eigene Aufnahme

gar keine so “miese” Verbindung, eigene Aufnahme

Doch man tut sowohl Correa als auch der „Revolucion Cuidadana“ Unrecht, wenn man es „nur“ auf Investitionen im Raum und deren Finanzierung beschränkt und fiele damit auch einem sprachlichen Missverständnis zum Opfer. Zwar heisst Cuidad wirklich Stadt, doch ist Cuidadana nicht der adjektivistische Gebrauch davon – städtisch – sondern heisst übersetzt Bürger und in diesem Sinne wird die Kampagne so herrlich doppeldeutig: die städtische aber vor allem die Bürgerliche Revolution. Dass ein solch fundamentaler Ruck durchs Land geht ist ebenso ambitioniert und existentiell notwendig zugleich,  wenn man bedenkt, dass während der  großen Krisen Ende der 1990er Jahre um die 1,5 Mio Einwohner das Land verlassen hatten – der kürzlich geschlossene Stadtflughafen in Quito galt als „Halle des Abschieds“ und einer der emotionalsten Orte der Welt. Viele im Land gebliebene Menschen hatten dagegen als individuelle Handhabe mit der Knappheit und Armut die Kriminalität auserkoren. Die neue Bürgerliche Revolution als politisches Programm setzt nunmehr urbane Regeln dagegen. Allen voran gilt es dazu das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit zurückzugewinnen – eines der Eckpunkte Correas ist die Reform der Justiz und der bis dato korrupten Polizei. Aber auch sich direkt semantisch aus den Worten urban und polis abgeleite Punkte wie Höflichkeit und pluralistische Toleranz werden thematisiert. Und der politische Ansatz bewegt sich dabei auf den aktuellsten wissenschaftlichen Deutungen von Stadt und Urbanität, indem sich zu dem „Claim for Space“ und dem „Claim for Rights“ nun auch der „Fight for Recognition“ gesellt und Regelwerke für diese Auseinandersetzungen einfordert. Sollte „La Revolucion Ciudadana“ erfolgreich sein, hätte der junge Präsident damit etwas bewegt, was nicht nur systematische Veränderungen hervorrufen wird können sondern auch im internationalen Vergleich durchaus bemerkenswert ist. Somit würde sie weit über Correas Amtszeiten hinaus Einfluss haben und keinesfalls „nur“ Straßenbauprojekte beinhalten.

Lastenfahrrad, Typ "Südamerika", eigene Aufnahme

Lastenfahrrad, Typ “Südamerika”, eigene Aufnahme

Erste Zeichen lassen sich zumindest erkennen: ein urbanes Regelwerk ist durchaus im Entstehen und bringt auch individuelle Eigenschaften wie Blasiertheit aber auch eine höhere Verlässlichkeit hervor. Die Bekämpfung von Korruption und das landesweite Zu-Spät-Kommen ist in aller Munde. Die ebenfalls allgegenwärtigen Handys und Internetcafes substituieren den Straßenlärm als Zeichen von Kommunikation. Obwohl das natürlich weniger mit Correas Programm als mit den technischen Innovationen und ihrer Verbreitung einhergeht und im urbanen Sinne nicht ausschließlich positiv zu deuten ist. Und ob das Essen besser wird oder das „Du“ in die lateinamerikanische Variante des Spanischen zurückkommen wird, darf derweil ebenfalls bezweifelt werden. Die aber zweifelsohne positivste Entwicklung seit der „Revolucion Ciudadana“ ist der merkliche Rückgang der Kriminalität. Zum einen wurden immense Investitionen in den Polizeiapparat getätigt, und zwar nicht nur für die technische Ausstattung sondern auch um das Vertrauen in die Polizeiarbeit zurückzugewinnen. Das individuelle Abdriften in die Kriminalität als persönlicher Umgang mit den Krisen hat sich zum anderen mittlerweile in ein ausgeprägtes Netz an „Dienstleistungen“ abgewandelt. Vor allem die abertausenden Straßen- und „Busverkäufer“ versuchen nun ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf aller möglichen Waren zu bestreiten anstatt einen unrechten Weg einzuschlagen.

autofreier Sonntag und Trolley-Bus in Quito, eigene Aufnahme

autofreier Sonntag und Trolley-Bus in Quito, eigene Aufnahme

In diesem Zusammenhang wird allerdings der noch akuteste Mangel und gleichzeitig aber auch amüsanteste Umstand des urbanen Wandels deutlich. Viele Verhaltensweisen werden einfach nur kopiert – egal ob politisch inspiriert oder einfach nur von den westlichen Medien abgeschaut – die Hintergründe und Sinnhaftigkeit der Handlungen werden dabei aber oft gar nicht verstanden. Folgt man der Theorie der Memologie von Richard Dawkins oder Susann Blackmore findet sich hier ein anschauliches Beispiel, inwiefern bestimmte „Meme“ erfolgreich kopiert, allerings nicht reflektiert werden. So entstehen viele „Kopierfehler“  und es hat manchmal den Anschein, als dass die Menschen gewisse Sachen einfach tun, nur weil sie schon mal andere Menschen das machen haben sehen. Das geht soweit, dass der Grund der Tat nicht durchschaut wird und somit die Imitation dieser Handlung ihren eigentlichen Zweck oft gar nicht erfüllen kann. Die allgegenwärtigen Verkäufer in Bussen und auf der Straße beispielsweise bieten ihre Waren zwar an, dass es aber darum geht, diese auch gewinnbringend zu verkaufen, kommt oft zu kurz. Jedenfalls kann man kaum einen nennenswerten Absatz gemessen an ihrem Aufwand erkennen und die Preise sind oft unter denen in den Supermärkten. Genauso die abertausenden Huhnbesitzer – ein Tier ist doch entweder eine Kapitalinvestition oder ein Produkt zum eigenen Nutzen, diese Wertschöpfung kommt hier allerdings irgendwie zu kurz – die Hühner werden vermeintlich einfach überall hingeschleppt. Ein Ökonmom würde hier wahrscheinlich enorme Potentiale zur Effizienzsteigerung sehen. Die Kopierfehler können aber auch in die andere Richtung ausarten und zu einer bürokratischen Überregulierung führen.

Das beste Beispiel ist einer der wenigen verbliebenen Eisenbahnabschnitte, der auch nur noch und ausschließlich touristisch genutzt wird: der Tren Nariz del Diablo. Ecuador ist eigentlich eines der einfachsten Reiseländer. Alle relevanten Städte und Ortschaften sind durch ein dichtes Netz an Buslinien miteinander verbunden. Durch die Konkurrenz der einzelnen Kooperativen entsteht nicht nur eine dichte Frequenz sondern auch lächerlich niedrige Preise – grob bezahlt man einen US-Dollar für eine Stunde Fahrzeit und durch die mittlerweile ja gut ausgebauten Straßen ist das Reisetempo relativ hoch. Als Reisender bräuchte man also nicht einmal spontan zum Terminal Terrestre – dem Überland-Busbahnhof – gehen und ein Ticket lösen sondern könnte auch einfach am Straßenrand stehen und von den marktschreierischen Busbegleitern zur Mitfahrt „angeworben“ werden. Genau das Gegenteil zu diesen hier durchaus auch angenehmen Unverbindlichkeiten herrscht dagegen bei der ecuadorianischen Eisenbahn. Es wimmelt hier auch nur so von Kopierfehlern: „Da es auf richtigen Bahnhöfen Wartebereiche und Lautsprecheransagen gibt, brauchen die drei Touristen das hier also auch. Im Disneyland gibt es crowd management VOR und Shops NACH der eigentlichen Attraktion – hier ist die Zugfahrt die Attraktion, also gibt es auch Anstehbereiche und Läden, nur leider irgendwie ungünstig angeordnt im selben Raum. In anderen Verkehrsmitteln, welche nicht BUS sind (Flugzeuge zum Beispiel) gibt es Tickets mit Namen, Check-Ins inklusive Passkontrollen etc. – also brauchen wir das hier auch und bestellen die Reisenden einfach eine Stunde vor Abfahrt zum Bahnhof.“ Inklusive des mindestens 30 Minuten dauernden Ticketkaufs spätestens am Vortag wird eine Bahnfahrt also gerade im Vergleich zu den üblichen Überlandbussen hoffnungslos überreguliert  – zumal sie wirklich nur ganze zwölf Kilometer lang ist und von höchstens 60 Touristen pro Fahrt genutzt werden kann.

typisches "revolutionäres" Bauschild, eigene Aufnahme

typisches “revolutionäres” Bauschild, eigene Aufnahme

Es bleibt also noch abzuwarten, wie nachhaltig die „Revolucion“ am Ende wirklich sein wird und zu hoffen, dass sie ein gesundes Mittelmaß findet und auch die Ziele und Hintergründe von kopierten Verhaltensweisen erkennen lässt. Am 17. Februar fanden Präsidentschaftswahlen statt und das ganze Land war im Wahlkampf aufgerieben. Die ärmeren Schichten und vor allem die Landbevölkerung kämpften für den Amtsinhaber. Kurioserweise stand man ihm in den Städten, vor allem in den größeren, gespalten gegenüber – erstaunlich bei einer „Städtischen Revolution“ und bei den sonst eher liberaleren Wählern in den weltweiten Städten. Und Correas Gegner sind mächtig – viele der alten Eliten hat er verprellt und die meisten Medien befinden sich im Besitz dieser reichen Familien. So erklärt sich wohl auch das weltweit zumindest irritiert wahrgenommene neue Mediengesetz, welches Berichte über die Wahl und die Kandidaten drei Wochen vor der Wahl untersagte. Wie revolutionär seine Politik aber wirklich zu sein scheint lässt ein Interview eines chilenischen Politikwissenschaftlers vermuten. Er unterstellt dem US-amerikanischen CIA, mindestens 80.000 US-Dollar für eine Schmutzkamagne gegen Correa aufgewendet zu haben, um somit seine Wiederwahl zu verhindern und eine neue sozialistische Achse Bolivien-Ecuador-Venezuela-Kuba einzudämmen. Trotzdem oder vielleicht ja auch genau deswegen wurde Correa mit deutlichem Vorsprung in seine seine dritte Amtszeit gewählt. Viva la Revolucion also? Oder wie er selbst seinen Anhängern am Wahlabend zurief und damit auch den Bogen für diese urbanistische Betrachtung spannt: „Diese Revolution ist nicht aufzuhalten – Sie gehört Euch!“