EXPERIMENTDAYS 15Quelle: id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit e.V.

 

Schon seit einigen Jahren ist das Thema Wohnen in Berlin ein Thema, das viele Menschen – sei es beruflich, privat oder politisch – in Berlin und anderen Großstädte bewegt. Es gilt, immer wieder neue Wege und Lösungen zu entwickeln. Schon lange, bevor Wohnen auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda ganz nach oben gerückt ist, gab es die EXPERIMENTDAYS. Auf der mehrtägigen Veranstaltung, die 2003 vom Institut für kreative Nachhaltigkeit id:22 ins Leben gerufen wurde und seither organisiert wird, haben Interessierte die Möglichkeit, alternative und nachhaltige Wohnformen und -formate kennen zu lernen. urbanophil hat mit Michael LaFond, Geschäftsführer von id:22 über die EXPERIMENTDAYS gesprochen.

 

Hallo Michael! Danke, dass du dir Zeit für ein kurzes Interview mit urbanophil nimmst! Würdest du für alle, die euch noch nicht kennen einmal kurz erläutern, was die EXPERIMENTDAYS sind.

Die EXPERIMENTDAYS sind eine jedes Jahr stattfindende, mehrtägige Veranstaltung. Wir verstehen die EXPERIMENTDAYS als Plattform für selbstorganisierte, gemeinschaftliche Wohnprojekte und als Treffpunkt für Akteur_innen der kreativen Nachhaltigkeit, die die Stadt als gestaltbaren Lebensraum verstehen.

Sie bieten die Gelegenheit, sich über selbstorganisierte Wohn- und Bauformen zu informieren, sowie Mitstreiter_innen und Unterstützer_innen für geplante oder bereits konkret in der Umsetzung befindliche gemeinschaftliche Wohnprojekte zu finden.

Damit wollen wir auch ein stückweit die Stadt, in der wir leben, weiter denken. Unsere Vision ist eine fair geteilte und selbstgemachte Stadt mit bedarfsgerechtem und sozial verträglichem Wohnraum. Zukunftsfähige Entwicklungsprozesse sollen demokratisch gestaltet und Experimentierfelder ermöglicht werden.

Was ist das Ziel der EXPERIMENTDAYS 15?

Die EXPERIMENTDAYS 15 thematisieren die aktuelle Situation und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Schaffung und Weiterentwicklung gemeinschaftlicher Wohnformen. Das Ziel der EXPERIMENTDAYS 15 ist es, das Instrument der kooperativen Stadtentwicklung in Berlin voran zu bringen. Wir wollen erfolgsversprechende Wege zu einer kooperativen Stadtentwicklung diskutieren und stellen dabei verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung gemeinschaftsbasierter Wohnprojekte in Berlin vor.

Im Mittelpunkt steht dieses Jahr die Frage, wie selbstbestimmte gemeinschaftliche Bau- und Wohnprojektinitiativen dabei unterstützt werden können, Aufgaben der sozialen Wohnungsversorgung für die Nachbarschaften und die Stadt mitzugestalten.

Eine solche Strategie kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn auch die unterschiedlichen, am Thema Wohnen interessierte Akteur_innen zusammenkommen: Engagierte Baugemeinschaften, Wohnprojektgruppen Architekt_innen, alte und neue Genossenschaften, Investor_innen, die städtischen Wohnungsunternehmen ebenso wie Banken, Stiftungen und die öffentliche Verwaltung erarbeiten Konzepte, Strategien und Lösungsvorschläge, mit denen eine Ausweitung gemeinschaftsorientierter Wohn- und Quartiersprojekte in Berlin erreicht werden kann.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr auf den Experimentdays?

Insgesamt haben wir mit unseren zahlreichen Kooperations- und Netzwerkpartnern ein 6-tägiges Programm auf die Beine gestellt. Am 11. September um 19:00 Uhr eröffnen wir die Experimentdays 15 in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Wir stellen zwei Ansätze kooperativer Stadtentwicklung in München und Hamburg vor, anschließend gibt es eine thematische Podiumsdiskussion.

Am Samstag findet dann – ebenfalls in der Friedrich-Ebert-Stiftung – die WohnProjekteBörse statt. Sie ist mittlerweile eine feste Größe innerhalb der Experimentdays. Hier wird es praktisch: Es stellen sich verschiedene Akteur_innen wie relevante Banken und Stiftungen, Initiativen und Netzwerke, Planende und Initiierende unterschiedlicher gemeinschaftlicher Eigentums- und Mietprojekte mit vielfältigen Bau-, Wohn- und Lebensformen sowie differenzierten Lebensweisen vor und tauschen sich mit den Besucher_innen aus.

Parallel dazu finden inhaltliche Info-Runden zu den Themen Finanzierung, Grundstücke, Rechtsformen und Gemeinschaftsbildung statt. Workshops + Tours zu den Themen urbane Resilienz und gemeinschaftliches Wohnen, die Zukunft auf dem Dragoner-Areal, sowie Kotti + Co. und inklusives Leben ergänzen das Programm. Die Teilnehmenden haben zudem die Möglichkeit, eine Reihe ökologischer und inklusiver Wohn-, Nachbarschafts- und Kulturprojekte rund um das Spreefeld und den Spreeacker kennenzulernen und mit Expert_innen zu diskutieren.

Den Abschluss bilden Exkursionen der Netzwerkagentur GenerationenWohnen zu Baugemeinschaften und gemeinschaftlichen Wohnprojekten in Berlin. Hier gibt es die Möglichkeit, zahlreiche bereits realisierte Wohnprojekte zu besichtigen. Das Programm, die Zeiten und , die Treffpunkte findet man im Detail auf der Webseite der Experimentdays.

Michael, seit 2003 veranstaltest du nun schon mit id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit die Experimentdays in Berlin. Was hat sich seither verändert?

Wir haben die Experimentdays im Jahr 2003 als Plattform und Treffpunkt gegründet. Damals gab’s ja unglaublich viele Freiräume in dieser Stadt, und so ging es um “nachhaltige Nachnutzungen” bzw. Aneignungen von solchen Möglichkeitsräumen. Wir haben von Anfang an selbstorganisierte, gemeinschaftliche und nachhaltige Initiativen zusammengebracht, vernetzt und gefördert. Vor allem alternative Wohnprojekte aber auch Kultur- und Gartenprojekte. Es gab im Prinzip keine Wohnpolitik, auch keine Strategien aus der Senatsverwaltung um irgendwas in dieser Stadt zu fördern. So ist jede Menge “von unten” angeschoben und realisiert worden.

Mittlerweile haben sich die Themen verändert. Wohnen ist in Berlin ein aufregendes Thema geworden: Spekulation und Wachstum treiben seit Jahren die Mieten und Immobilienpreise in Berlin in die Höhe. Ich denke, dass gemeinschaftliche Wohnformen in diesem Spannungsfeld eine sozialverträgliche Lösung darstellen können, weil diese nicht nur leistbaren Wohnraum für sozial gemischte Quartiere schaffen, sondern auch durch die Integration von sozialen Infrastruktureinrichtungen, von Gewerbe und Büros sowie Räume für kulturelle und kreative Initiativen, positive Auswirkungen auf die Nachbarschaft haben.

Es gibt schon viele Engagierte und gut etablierte Projekte, aber die Nachfrage der Interessierten ist nach wie vor groß. Sie wollen sich informieren, wie ein eigenes Projekt auf die Beine gestellt werden kann. Außerdem gibt es immer mehr Menschen, die selbst in einem gemeinschaftlich organisiertem Wohnprojekt mitwirken und leben wollen. Außerdem ist es wichtig, Alternativen zu haben.

Welchen Beitrag leisten deiner Meinung nach gemeinschaftliche Wohn- und Hausprojekte?

Ihren Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung leisten gemeinschaftliche Hausprojekte insbesondere durch das weit überdurchschnittliche Engagement ihrer Bewohner_innen. Mit großer Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für Haus und Kiez, Nachbarschaft und Umwelt stärken sie Quartiere auf lange Sicht.

Bewohner_innenbeteiligung und Aneignungsmöglichkeiten garantieren eine hohe Identifikation mit dem Ort. Sie sichern dadurch eine solide Bewohner_Innenstruktur, niedrige Fluktuationsraten und somit hohe soziale Stabilität. Gleichzeitig dienen Wohnprojekte als Laboratorium für experimentelle Wohnformen: Viele solcher erprobter Wohnkonzepte gehören heute zum Standard, wie z.B. das generationenübergreifende Wohnen.

Doch auch für solche Projekte wird es immer schwieriger, geeignete Gebäude oder Grundstücke zu finden. Warum?

Berlin hat in den letzten Jahren ganz klar eine neoliberale Stadtentwicklungspolitik verfolgt. Oder anders gesagt keine Wohnpolitik bzw. eine Strategie der Privatisierung. Jedoch sollten ganz klar nicht-spekulative Ansätze gegenüber aufwertungsorientierten Ansätzen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung bevorzugt werden. Dank großem und beharrlichem Druck von den Berliner Initiativen und Netzwerken haben wir langsam wieder eine ansatzweise soziale Immobilen-, Mieten- und Wohnpolitik. Berlin bleibt spannend. als Stadtlabor mit aufregenden Perspektiven sowie Konflikten. Das Dragoner-Areal ist z.B. gerade nicht vom Bund verkauft und privatisiert, dank einer guten Arbeit aus der Berliner Zivilgesesllschaft. Berlin bleibt kämpferisch.

Klingt gut! Und im nächsten Jahr? Wie geht es weiter mit den Experimentdays?

„Bottom-up“-Projekte, wie Genossenschaftsmodelle und Mietshäuser-Syndikatsprojekte sollten gebündelt, gestärkt und weiterentwickelt werden. Dazu sollten Netzwerke, Plattformen und zentrale Anlaufstellen unterstützt und gefördert werden, einerseits für den Austausch zwischen den Projekten, andererseits auch mit Expert_innen und Entscheidungsträger_innen.

Wir brauchen neue Kombinationen von Do it Yourself und Do it Together, natürlich auch von Top Down und Bottom Up. Ohne mehr von der kooperativen Stadtentwicklung, ohne stärkere Netzwerke werden wir bald keine selbstorganisierten, gemeinschaftlichen und nachhaltigen Projekte mehr organisieren können, jedenfalls nicht in der Innenstadt. Die Experimentdays leisten einen wichtigen Beitrag, diesen Zielen ein Stück weit näher zu kommen. Dazu greifen wir jedes Jahr aktuelle Themen in der Stadtentwicklungspolitik schwerpunktmäßig auf.

Lieber Michael, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für die Experimentdays 15!

____

Dr. Michael LaFond kommt ursprünglich aus Seattle und lebt seit 1991 in Berlin. Er ist promoviert und gründete im Jahr 2000 id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich in Berlin und der Welt mit der *Selbstorganisation*, mit Wohnprojekten, Genossenschaften und CoHousing und mit den Zusammenhängen zwischen Kultur und Nachhaltigkeit. Mit seinen Projekten bewege sich Michael zwischen den Themenfeldern Kunst, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bildung.

Neben den Experimentdays sind die Haupt-Projekte und Veranstaltungen, die id22 derzeit organisiert und durchführt experimentcity mit den EXPERIMENTDAYS sowie der CoHousing | Berlin Plattform, die Veröffentlichung zu CoHousing Cultures sowie die creative sustainability tours. id22 verantwortet Jahr für Jahr mehr Bildungsarbeit, wie Kooperationen mit Hochschulen und Universitäten, Veröffentlichungen sowie eigene Workshops. id22 ist am Spreefeld in Berlin Mitte zu Hause.