Dies ist der dritte Artikel in unserer Reihe zur Habitat III Konferenz in Quito. Laura v. Puttkamer, die auch unter www.parcitypatory.org bloggt, war vor Ort und schildert uns ihre Eindrücke.

dav Eine Woche ist es nun her, dass das Megaevent Habitat III sich dem Ende zuneigte. Inzwischen sind alle wieder zuhause und konnten reflektieren, was denn eigentlich in vier chaotischen, vollen, inspirierenden und anstrengenden Tagen passiert ist.

Die einfache Antwort ist: nicht viel. Die New Urban Agenda war bereits vor der Konferenz in Ecuadors Hauptstadt Quito beschlossen und es wurde nichts mehr daran geändert. Daher war Habitat III letztendlich vor allem eine große Feier der Agenda.

Die längere Antwort ist: Zuerst einmal haben alle Teilnehmer*innen sich gefreut, dass dem Thema Stadtentwicklung inzwischen ein eigenes Event gewidmet ist, auch wenn es in der Habitat-Form zu selten stattfindet.

Unklarheiten

Ein kritisches Fazit zeigt, dass die New Urban Agenda zwar von Gesundheit über Migration bis hin zu Umweltkatastrophen so gut wie jedes Thema anspricht. Allerdings fehlen religiöse Minderheiten und die Rechte der LGBT-community in dem Dokument, da zu diesen Punkten keine Einigung möglich war. Auch fällt auf, dass viel von lokalen Projekten und NGOs gesprochen wird, aber Graswurzelbewegungen und die sogenannten Community-Based Organisations nicht erwähnt werden. Die große Frage, ob es Aufgabe des Staates oder der Stadt ist, für mehr Rechte und gerechtere Verteilung und Planung innerhalb einer Stadt zu sorgen, bleibt ungeklärt und auch die Partner für Stadtentwicklung werden nicht klar benannt.

Fehlende Vernetzung und Messbarkeit

Der wahrscheinlich größte Kritikpunkt ist, dass die New Urban Agenda sehr allgemein ist und es keine Indikatoren oder Mechanismen gibt, um zu überprüfen, ob, wann und wo die noblen Ziele erreicht werden. Ein freiwilliger Implementation Plan gibt derzeit auf der offiziellen Habitat3-Website allen Interessierten die Möglichkeit, eine Absichtserklärung für die Umsetzung der New Urban Agenda zu leisten, aber ein offizielles und effizientes Monitoring fehlt komplett. Dabei hätten eigentlich die Klimaerklärung von Paris und die Nachhaltigen Entwicklungsziele, beide vor kurzem von den Vereinten Nationen erfolgreich beschlossen, eine Möglichkeit geboten, die New Urban Agenda zu vernetzen und Entwicklungsziele zu kombinieren und stärken.

Das Recht auf Stadt

Das Recht auf angemessenes, das vor 20 Jahren unter großer Beteiligung der Zivilgesellschaft einen Eingang in die Habitat Agenda (Habitat II in Istanbul 1996) fand, ist zwar noch vorhanden; aber die Hoffnung, dass das Recht auf Stadt Eingang in die New Urban Agenda findet, ist geplatzt.

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Enrique Ortiz Flores von der kritischen sozialen Bewegung Habitat International Coalition war auch bei den beiden bisherigen Habitat-Konferenzen (1996 in Istanbul und 1976 in Vancouver dabei) und bemängelt, dass das Recht auf Stadt noch immer keinen Eingang in die Agenda gefunden hat.

Paragraph 11 der New Urban Agenda erwähnt dieses Recht nur am Rande:

“We share a vision of cities for all, referring to the equal use and enjoyment of cities and human settlements, seeking to promote inclusivity and ensure that all inhabitants, of present and future generations, without discrimination of any kind, are able to inhabit and produce just, safe, healthy, accessible, affordable, resilient, and sustainable cities and human settlements, to foster prosperity and quality of life for all. We note the efforts of some national and local governments to enshrine this vision, referred to as right to the city, in their legislations, political declarations and charters.”

Kritiker*innen sind enttäuscht, den es ging ihnen nicht nur um ein Recht auf städtisches Leben, sondern auch um das Recht, die Stadt aktiv mitzugestalten und nach Wünschen der Zivilgesellschaft zu formen (Lesetipp: David Harvey und Henri Lefebvre).

Drei große Gegenveranstaltungen

Die Idee des Rechts auf Stadt (Right2City) ist vor allem in Lateinamerika sehr wichtig und einige große Städte haben es bereits in ihren lokalen Gesetzgebungen aufgenommen. Diese Priorität und Enttäuschung über die insgesamt recht verwässerte New Urban Agenda war auch in den drei großen Gegenveranstaltungen zu spüren:

In der katholischen Universität Quito (PUCE) zeigten gleich mehrere Fotoausstellungen die Arbeit kleiner Projekte in Ecuador und benachbarten Ländern. Ein Fokus lag auf Graswurzel- und Nachbarschaftsinitiativen nach dem schrecklichen Erdbeben im Land im April 2016, das von Habitat III mehr oder weniger ignoriert wurde.

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Plakate auf den Gegenveranstaltungen kritisieren die neoliberale Ausbeutung von Städten als Ware.

Die zentrale Universität (UCE) mit ihrem Event Resistencia Popular Habitat III hat eine alternative Agenda veröffentlicht, die nach mehrtägigen heißen Diskussionen (dies allerdings auf Spanisch und daher hauptsächlich von Lateinamerikanern besucht) entstanden ist. Landlosenbewegungen, Graswurzelorganisationen und indigene Gruppen haben hauptsächlich daran mitgewirkt und am letzten Tag der Konferenz eine große Demo organisiert, die direkt vor den Toren Habitat IIIs stattfand, von der Polizei aber recht schnell aufgehalten wurde.

Auch im akademischen Think Tank FLACSO „frente a Habitat“ gab es eine Front gegen Habitat. Hier trafen sich zum Beispiel renommierte Wissenschaftlerinnen, die Frauenrechte vertreten und wissenschaftliche best practice cases suchen.

Exhibition und Urban Village

Parallel gab es eine Exhibition Area, in der sich zahlreiche Länder vorstellten und auch viele relevante Organisationen vertreten waren. Hier kamen die wirtschaftlichen Interessen deutlich zutage und einige Länder, insbesondere Südkorea, zeigten ihr großes Interesse an technisierten „smart cities“. Der deutsche Pavillon war komplett aus recyclebaren Materialien erstellt, aus denen nun Häuser vor Ort gebaut werden dürfen. Nachhaltigkeit, planetare Urbanisierung, Mobilität und urbane Ernährung waren hier einige der wichtigen Themen.

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Besonders interessant waren die Innovationen im sogenannten Urban Village, das sich in mehreren Dutzend Stationen in der Stadt verteilte und öffentlich zugänglich war. Beispielsweise arbeitete das Urban Design Lab daran, einen hübschen, aber gefährlichen öffentlichen Raum gemeinsam mit den Anwohner*innen sicherer und zugänglicher zu machen und das Interesse der Quitenos war groß. Aber auch bereits bestehende Organisationen wie „Opus Mariscal“ stellten sich vor, mit Projekten wie einem öffentlichen Wasserspender, einer neuen Polizeistation und einem Gemeinschaftszentrum. Neue Baustile mit Materialien wie Bambus und Apps zur Ideensammlung für bessere öffentliche Stadtplanung wurden präsentiert. Zumindest einige der Urban Village Pilotprojekte werden in Quito bleiben und hoffentlich nachhaltig verwendet und übernommen werden.

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Auf der Plaza Borja Yerovi versucht das Urban Design Lab gemeinsam mit Nachbar*innen, für mehr Sicherheit und ein besseres Gemeinschaftsgefühl zu sorgen. (mehr Infos)

Und nun?

Nun ist der Trubel vorbei und die Quiteños können sich langsam wieder ihrem Alltag widmen. Das Fazit zeigte sich im Gespräch mit unterschiedlichen Stadtbewohner*innen gemischt: Während die Konferenz für Tourismus und Bekanntheit Ecuadors sehr positiv war, sehen die Quiteños wenig nachhaltige Folgen. Der Verkehr kam in der Stadt für einige Tage beinahe zum Erliegen und die drastische Militärpräsenz zeugte nicht gerade von einem inklusiven Event, sodass gerade etwas ärmere Stadtbewohner*innen wenig Interesse zeigen und teilweise gar nicht wissen, was da eigentlich in ihrer Stadt passiert ist – und das, obwohl sich die New Urban Agenda doch an alle richten wollte.

sdr

Die Konferenz fand hinter Gittern statt und auch für Registrierte war nicht jedes Event zugänglich.

 

(Alle Bilder von L. v. Puttkamer)