Nürnbergs Kulturlandschaft hat noch viel Potenzial: Die Meistersingerhalle ist in die Jahre gekommen und genügt nicht mehr den heutigen Standards für ein Konzerthaus. Das Opernhaus muss 2025 stillgelegt werden, weil es nicht mehr den aktuellen Arbeits- und Brandschutzverordnungen entspricht. Die freie Szene fordert mehr Unterstützung und Raum für ihre Kunst- und Kulturschaffenden. Und: Das Reichsparteitagsgelände, eine der größten baulichen Hinterlassenschaften der NS-Diktatur, scheint seine gewünschte Nutzung als Projektionsfläche für die Künstler und Denker unserer Zeit noch immer nicht gefunden zu haben. Wie steht es also um die Kultur in Nürnberg? Eine teilnehmende Beobachtung.

Dokumentiert von Gastautor Artemi Rashba

Ein neues Konzerthaus für Nürnberg – Wie alles begann

Mit der Entscheidung zur Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2025 wurde die Frage um Nürnbergs Kulturbauten 2017 neu aufgerollt: In einem Realisierungswettbewerb für ein neues Konzerthaus setzte sich eine Arbeitsgemeinschaft um das vergleichsweise junge Nürnberger Büro Super Future Collective gegen 245 andere Studios durch. Seither widmete sich das Team der Planung dieses neuen Kulturbaus an der Meistersingerhalle unweit des Reichsparteitagsgeländes.

Während die Meistersingerhalle nach Generalsanierung als Ausweichspielstätte für die sanierungsbedürftige Oper in Betracht gezogen wurde, sollte der Neubau den Konzertbetrieb aufnehmen. Zur Steuerung dieser Bauvorhaben wurde 2018 eine Dienststelle eigens für Kulturgroßbauten im Geschäftsbereich des Bau- und Planungsreferats der Stadt Nürnberg gegründet. Diese sollte als Schnittstelle zum Kulturreferat den Austausch innerhalb der Kommunalverwaltung erleichtern.

Zeitsprung 2020: Ein Regierungswechsel in Nürnberg, hitzige Debatten um den Standort für das Konzerthaus und die damit verbundenen Fällungen von Baumbestand, die Corona Pandemie und die Tatsache, dass Nürnberg im Jahr 2025 nicht den Titel Kulturhauptstadt Europas tragen wird, führte zum Stopp des Konzerthaus-Projektes. 

Außenansicht KonzerthalleQuelle: Super Future Collective
Außenansicht Konzerthalle

Das Kolosseum – Kultur im Propagandabau?

Ein weiteres Projekt, dass avisiert wurde, ist die Schaffung von Ermöglichungsräumen für die Kunst- und Kulturakteure der Stadt in dem Torso der Kongresshalle. Das „Kolosseum“, wie die Nürnberger es umgangssprachlich nennen, ist ein gigantisches, leer stehendes Relikte der NS-Diktatur. Die Kopfbauten der Kongresshalle beherbergen schon seit Jahren die Nürnberger Symphoniker und das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Letzteres begreift den leeren Innenhof der Bauruine als Symbol für den Größenwahn und für das Scheitern der NS-Diktatur und versteht ihn als Teil seines Ausstellungskonzeptes.

Ein „Creative Hub“ für Kunst und Kultur in der historisch vorbelasteten Bauruine wurden schon in einer Arbeit der Architektin Jasna Kajevic im Jahr 2017 thematisiert, die einen weniger zurückhaltenden Umgang mit dem vorhandenen Raum vorschlägt. 

Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner, Leiter der Stabsstelle Reichsparteitagsgelände im Geschäftsbereich der Kulturbürgermeisterin Prof. Dr. Julia Lehner verfolgt seit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt das Ziel, einen Ort der kulturellen Begegnung zu etablieren. Der Rundbau der Kongresshalle soll in Teilen zu Ateliers für die Kunst- und Kulturschaffenden samt Veranstaltungsräumen ausgebaut werden.

Diese Bemühungen werden von der Stadtgesellschaft weitestgehend unterstützt, auch wenn sie bereits auf harte Kritik seitens regionaler Vereine trafen. Einige Akteure lehnen Eingriffe in den Bestand und eine Aufwertung der NS-Architektur vehement ab und sehen dadurch den Erinnerungs- und Lernwert des Denkmals gefährdet.

Doch nicht nur Künstlerateliers sollen im bisweilen profan genutzten Kongresshallentorso ihren Platz finden. Auch die Nürnberger Oper könnte nun nach dem Scheitern des Konzerthausprojektes eine neue Heimat im Rund der Kongresshalle bekommen. Eine Opernhauskommission wurde im Jahr 2021 ins Leben gerufen, um eine Zukunftsperspektive für das Haus zu entwickeln und um verschiedene Szenarien für den Umgang mit dem Opernhaus durchzuspielen. Ein Operninterim, das vergleichbare Kosten wie das geplante Konzerthaus in den Raum wirft, wird seit dem Vorschlag heftigst in der Öffentlichkeit diskutiert.

Hitzige Debatten –  Wer positioniert sich zur Opernfrage?

Die International Public Summer School, ein interdisziplinäres Projekt der TH Nürnberg, der Akademie der bildenden Künste und der TU Wien, wurde von Prof. Ingrid Burgstaller und Dozentin Xiaotian Li initiiert. Sie bot den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, in den aktiven Austausch über das Reichsparteitagsgelände zu treten. Noch im Sommer 2021 war das Thema Operninterim unter den Beteiligten fast gänzlich unbekannt. Im Zuge der Summer School kam es zum ersten Meinungsaustausch und die Positionen verschiedener Akteure zur Opernfrage wurden öffentlich. 

Ein klares Standing hat auch der Baulust e.V., die Initiative für Architektur und Öffentlichkeit. Der Verein, vom Architekten Prof. Josef Reindl gegründet, macht sich seit mehreren Jahrzehnten für den offenen Diskurs über Baukultur in Nürnberg stark. Baulust kritisiert die Intransparenz seitens der Kommunalpolitik zur Opernfrage und stellt ein fehlendes Informieren und Miteinbeziehen von Fachleuten und Bürger:innenschaft fest. Der Verein fordert einen zeitlichen Aufschub der Entscheidung zugunsten eines offenen Diskurses durch aktive Einbindung der Öffentlichkeit. Bei einem Vorhaben dieser Tragweite sei ein genaueres Hinsehen unumgänglich und eine Entscheidung unter Zeitdruck könne fatale Folgen für die Stadtentwicklung und die Geschichtsaufarbeitung mit sich bringen.

Steven Davé von Super Future Collective tritt diplomatisch und konstruktiv auf: In einem Schreiben an Oberbürgermeister Marcus König und Ministerpräsident Dr. Markus Söder bittet er darum, die Eignung der geplanten und bis ins Detail ausgearbeiteten Konzerthalle als Operninterim zu prüfen. Das Büro präsentiert hierzu sogar eine angepasste Planungsvariante mit verändertem Zuschauer- und Bühnentrakt sowie einer neuen Kostenschätzung.

Ernesto Buholzer Sepúlveda, Stadtrat des kommunalpolitischen Vereins politbande, ist Teil der Opernhauskommission. Er äußerte Bedenken angesichts der kursierenden Zahlen für die Baukosten der Gesamtmaßnahme von rund einer Milliarde Euro und zweifelt an der Sinnhaftigkeit des Vorhabens. Buholzer Sepúlveda sieht darin unter anderem dramatische finanzielle Einbußen für den Haushaltsplan der nächsten Dekaden, die zulasten der freien Kulturszene gehen. Er legte stattdessen eine visionäre Alternative der Politbande für den Umgang mit dem Opernhaus am Richard-Wagner-Platz auf den Tisch. Diese schlägt vor, das Opernhaus behelfsmäßig zu sanieren und einer kostengünstigeren Umnutzung zu unterziehen. Die Politbande begründet das mit dem Argument, das Bestandsgebäude genüge den Anforderungen an ein modernes Opernhaus nicht und auch die kostenintensiven Investitionen werden nicht zum gewünschten Erfolg führen. An der Kongresshalle hingegen soll ein neuer dauerhafter Bau sowohl für die Oper als auch die Subkultur entstehen. Ein neuer Kultur- und Begegnungsort biete die Chance auf eine überregionale Strahlkraft mit Symbolcharakter. Das Konzept sollte außerdem mit dem Gedanken einer pluralen, multiperspektivischen und inklusiven Erinnerungskultur verschränkt sein.

Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, beklagte in einem Interview, dass keines der Mitglieder des Kuratoriums Reichstagsgelände in die Entscheidungsfindung einbezogen wurde. Er habe von dem Vorhaben eines Interims zufällig und nur wenige Wochen vor der Stadtratssitzung am 15.12.21 erfahren, in welcher das Schicksal der Kongresshalle besiegelt werden sollte.

Das Kulturreferat der Stadt Nürnberg konterte mit einer Veranstaltungsreihe rund um das Thema Kongresshalle und bezog die Bürgerschaft durch ein World-Café, Rundgänge durch den Baukörper und Podiumsdiskussionen ein. Ein besonderes Highlight dieser Eventreihe ist die Ausstellung „NACHdenken, ÜBERdenken – NEUdenken?“, die Positionen der künstlerisch-architektonischen Reflexion auf die Kongresshalle präsentiert.

Modell KongresshalleQuelle: Artemi Rashba
Modell Kongresshalle

Und nun? – Versuch eines Zwischenfazits

Es wurden auch mittlerweile verträglichere Baukosten geschätzt. Doch auch hier merkte man, dass diese Bemühungen zu spät kamen und ein weiterer Diskurs mit der Öffentlichkeit erst nach einer Entscheidung weitergehen wird. Erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die Meinungen zu den Debatten auch in der breiten Masse eklatant auseinanderklaffen und sich viele Bürger:innen sogar für einen Opernneubau ausgesprochen haben. Einig ist man sich, dass die ganzen Debatten sowohl um eine Sanierung des Opernhauses als auch um die Kongresshalle als Standort für eine Interimsspielstätte deutlich früher hätten aufgenommen werden müssen.

Nach langem Hin und Her zwischen den Stadtratsfraktionen und einer Vielzahl von offenen Briefen, Pressemeldungen und Anträgen zum Tagesordnungspunkt der Stadtratssitzung einigten sich die drei stärksten Parteien im Nürnberger Stadtrat. CSU, SPD und die Grünen kamen noch vor der Stadtratssitzung auf den Konsens eines Interims in oder an der Kongresshalle. Sie gaben öffentlich bekannt, dass die Abstimmung lediglich eine Formalität sein werde. Seit dem 15.12.21 ist es nun offiziell: Die Kongresshalle wird neuer Ausweichspielort für die Nürnberger Oper, die vor 2025 ihren Betrieb dorthin verlagern wird. Die genauen Lösungsansätze liegen nun wohl in Händen der kreativen Architektenschaft, die in einem Wettbewerb um die Auftragserteilung buhlen darf.

Quelle: Artemi Rashba

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Artemi Rashba ist Architekt und Baureferendar am Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Nürnberg und beschäftigte sich in seiner Masterarbeit „Kolosseum Sommerbühne“ aus dem Jahr 2017 mit dem Thema des künftigen Umgangs mit der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände. Seit nunmehr fünf Jahren verfolgt er das Geschehen rund um dieses und ähnliche Themen proaktiv mit. Weitere Informationen findet ihr auf der Website www.studion6.de