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Abb. A. Galda

Wieso Kirche? Ist religiöses Handeln in den Städten nicht sowieso bald obsolet und sollte man den Fokus nicht lieber auf einen anderen Themenbereich legen, der zukunftsträchtiger ist? Gibt es nicht zentrale Themen, die derzeit in Stadtplanung und Architektur diskutiert werden?

Sicherlich, jeder muss sich seine eigene Meinung bilden und auch ich kann hier an dieser Stelle nur eine persönliche Reflektion anbieten, aber meiner Meinung nach hat die Tagung „Stadt_Kirche“ Anfang Oktober zumindest gezeigt, dass solche Fragen gestellt werden müssen.

Tag 1

Es ist und bleibt aber Ausgangslage, dass sich dem Thema nur Schritt für Schritt genähert werden kann und es ist das Verdient von Gerhard Ballewski, dass er gleich zu Beginn anhand der Ausstellung in der Himmelfahrtkirche und seinem Vortrag eine passende Einführung gegeben hat. Nicht nur die Bilder und Geschichten aus dem Kirchenbaudokumentationsbüro der Evangelischen Kirchengemeinde am Humboldthain, auch der an den Vortrag anschließende Stadtspaziergang, machten deutlich, dass dieses Thema eine lokale wie auch überregionale Brisanz besitzt. Denn blickt man alleine auf die Zahlen, die im Vortrag von Mehmet Kalender in Folge genannt wurden, so zeigt sich, dass jenseits einer individuellen Bewertung der Verbindung von Stadt und Kirche zumindest eine objektive Relevanz des Themas vorhanden ist und Religion im öffentlichen Raum weiterhin ein sichtbares Muster bildet. Religion, so argumentiert er, verändert zwar seine Form, kann aber als Symbol und gelebte Praxis weiterhin beobachtet werden. Anhand verschiedener Eindrücke und Bilder legt er dar, dass es eigentlich sowohl die „Stadt in der Religion“ (wie Wallfahrtsorte und Orte religiöser Vermittlung und Gelehrsamkeit) als auch die „Religion in der Stadt“ (wie religiöse und weltanschauliche Vielfalt und direkte Begegnungen mit dem religiös Anderen) gibt und dass die Theorie dazu weiterhin uneinig darüber ist, ob es sich dabei um ein kurzes Aufflammen im Rahmen einer langfristigen Säkularisierung ist (Detlef Pollack) oder ob es sich eher um eine „Unsichtbare Religion“ (Thomas Luckmann) handelt, die neue Formen religiösen Lebens ausbildet (gar im Sinne einer „Populären Religion“ nach Hubert Knoblauch). Daran anschließend war eigentlich gedacht, dass Elke Herden diese gegenwartsbezoge Analyse mit den Kirchenbauten vergangener Stadterweiterungen in Beziehung setzt, jedoch musste diese Reflexion durch eine Verhinderung der Dozentin mit einer anderen Nuance erfolgen. Katrin Bauer fokussiert in ihrem Vortrag deshalb gleich auf den Schwerpunkt der Tagung, nämlich in welcher Form diese Veränderungen Auswirkungen auf Kirchengebäude und ?gemeinden haben und welche Lösungen gefunden wurden. Anhand verschiedener Beispiele aus Deutschland zeigt sich auf, dass im Einzelfall vielfach pragmatische (auch weltliche Lösungen) gefunden werden, aber die emotionale Komponente nicht zu unterschätzen ist und die Bindung an das Kirchengebäude vielfach andere Herangehensweisen bedingt. Am Ende des ersten Blocks und in einem Versuch des Brückenschlags, habe ich dann in einem Ersatzvortrag ein Augenmerk darauf gelegt, dass der Umgang mit religiöser Vielfalt die eigentliche Herausforderung ist und dass Kommunen – im speziellen Fall der interreligiösen Aktivitäten – bereits einige Wege suchen, damit umzugehen. Ob dieser Weg vielversprechend ist bleibt abzuwarten. Den ersten Tag beschließt dann eine Podiumsdiskussion mit Superintendent Dr. Bertold Höcker (Ev. Kirchenkreis Berlin Stadtmitte), Wolfgang Klose (Vorsitzender des Diözesanrats des Erzbistums Berlin) und Carolin Klingsporn (Stadtforscherin), die unter Moderation von Sebastian Schlüter (Stadtaspekte) darüber sprechen, welche Implikationen das bisher Gehörte auf Kirche und Stadtentwicklung hat. Eine der zentralen Herausforderungen, so stellte das Podium heraus, wird es sein, die verschiedenen Einflüsse auf Kirche in der Stadt (wie Denkmalschutz, Tourismus, aber auch Veränderungen in der Gemeindestruktur) aufzugreifen und in neuer Form zu denken. Gerade an solchen Standorten wie an der Marienkirche vor dem Roten Rathaus sind diese Schnittstellen von hoher Spannung und können nur durch ein integrierendes Handeln (das aber auch klare Grenzen setzt) gelöst werden.

 

Tag 2

An dem vorigen Tag hatten wir über die Herausforderungen der modernen Kirche gesprochen – z.B. über den Verlust von Kirchengänger und was die Kirche tun konnte, um diese Herausforderungen entgegenzukommen und wie man als Kirche und die Zivilgesellschaft gemeinsam neue Wege finden kann, um die christliche Basis und Gemeinschaft zu erhalten und entwickeln. Heute bewegen wir uns in Richtung der Architektur: Im Programm steht die Diskussion der physischen Räumlichkeiten der Kirche und der Umgang mit deren Symbolik. Wir werden uns insbesondere in den fünf Vorträge mit der Frage „was machen wir mit den leeren Kirchengebäude?“ beschäftigen. Wir stellen also heute mit der zweiten Bedeutung unseres Titels „Stadt_Kirche“, nämlich „Statt_Kirche“.

Nach dem obligatorischen Morgenkaffee im Gemeinderaum fangen wir mit dem Vortrag mit dem Titel „Der Raum ist sehr geräumig“ von Kunsthistorikerin und Theologin Frau Dr. Karin Berkemann an. Mit den Wurzeln des Christentums im vergangenen Palästina fängt Frau Berkemann ihren kunsthistorischen Überblicksvortrag an. Dort wurde in Form der palästinensischen Erlöserkirche ein  Versöhnungsbau zwischen verschiedenen Richtungen des Christentums realisiert und dadurch ein kunsthistorisch bedeutender Meilenstein gesetzt. Im Laufe der Zeit haben sich die Formen dann lokalen Besonderheiten angepasst, so wurde im Kirchensaal der Brüdergemeinde (1812) in Königsfeld (Schwarzwald) das Motto „Gleiche unter Gleichen“ umgesetzt, während die Klosterkirche St. Bonifaz (1850) in München eher als Tempel im Stil des alten Museums in Berlin von Karl Friedrich Schinkel (1874) gebaut wurde. Danach orientierten sich Kirchen an einer eklektizistischen Architektur, da sie meistens Repräsentationsarchitektur des Kaisers war und seine umfassende weltliche Bildung zeigen sollte. Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich dann die Symbolik der Kirche grundlegend: In den zwanziger und dreißiger Jahren erkundeten die modernen Architekten Rudolf Schwarz,  Otto Bartning und die Brüder Böhm die nicht-hierarchischen Kirche und definierten die Rolle der Kirchbauten neu. Die (katholischen) Kirche zeigte sich innovativer als vorher und die Gebäude wurden gleichzeitig zeitlos und zeitgemäß gedacht. Mit dem Tumult der dreißiger und vierziger Jahren veränderte sich die Kirche dann noch einmal: Sie mussten neu aufgebaut werden; die Trümmerkirche war eine Realität und in den Ruinen entstanden einige ökumenischen Initiativen. In Summe hat sich die Kirchenarchitektur aber immer an einen gemeindebezogenen Spruch gehalten: „Innen nach Außen statt Außen nach Innen“.

Mit diesem Überblick begann dann der thematische Teil der Tagung, der mit „Rathaus, Kirche, Markt: für eine neue Symbolik von Kirchengebäude“ überschrieben war. Dr. Martin Bredenbeck eröffnet diesen Themenblock mit seinen Vortrag „Kirchen-Räume als Raum-Reserven? Nutzung und Nachnutzung von Kirchen in der Stadt“ und der geographischen Bedeutung der Kirche in der Stadt. Er argumentiert, dass aus historischer Sicht Kirchen immer platzprägend waren und ein klares Zeichen der religiösen und kulturellen Zugehörigkeiten einer Stadt bildeten. Deshalb gehörten zu den Kirchbauten auch immer weitere Nebenräume, die diese Funktion stützten, wie Gemeindesaal, Konfirmandensaal, Büros usw. Aktuell werden nun viele Kirchen, insbesondere die aus dem 20. Jahrhundert, nicht mehr für Gottesdienst gebraucht und Martin Bredenbeck schlug vor, dass diese Räume deshalb für die neue Bedürfnisse der Gesellschaft (neue Religionen, neue Gemeindegruppen usw.) genutzt werden könnten. Er schlussfolgerte, dass aus einer kunsthistorischen Sicht es vorzuziehen ist, dass die Umnutzung so gestaltet wird, dass die ursprünglichen gestalterischen Qualitäten der Gebäude erhalten und ablesbar bleiben. Eine Kirche kann also z.B. in eine Bar oder ein Krematorium umgenutzt werden, wenn der traditionelle Bautypus bewahrt werden kann.

Nach der Mittagspause trägt dann Marcus Nitschke vom Büro D:4 zum „Ein neuer Historismus in Kirchenbau. Grundlagen und Fehlstellen der aktuellen Entwurfspraxis“ vor. Das Büro D:4 beschäftigt sich sowohl mit Architektur und Theologie als auch mit Projektmanagement, Immobilienwirtschaft und Denkmalpflege. Es hat unter anderem den Innenbereich der St. Agnes Kirche in Berlin-Kreuzberg (2005-11) und der Zionskirche in Berlin-Prenzlauer Berg (2001) umgestaltet. Nach den zwei kunsthistorischen Beiträgen bezieht sich Marcus Nitschke auf die praktische Umgestaltung von Kirchengebäuden. Trotzt einer vielfältigen Entwicklung der sakralen Architektur kann man in vielen neuerrichteten Kirchenbauten eine stärke Vereinfachung des ästhetischen Ausdrucks der Kirche erkennen; sie werden eckig, konservativ, und großzügig  errichtet – an einer Autobahn oder mitten der Stadt – und gleichen einander sehr. Nach seiner Analyse existiert einen neuen Historismus in Kirchenbau, in dem Architekten die Kirche als bestimmten Bautypus verstehen und sich weder mit der Umgebung noch dem individuellen Ausdruck der Gemeinde beschäftigen. Die neuerrichtete Kirche wird dann zur Bühne religiöser Ereignisse der Kirche, aber sie hinterlässt keinen emotionalen und ästhetischen Eindruck.

Die abschließende Diskussion des Tages nimmt dann folgenden Gedanken auf: Vielleicht ist eine der Lösungen zur Umnutzung von Kirchen, dass die verschiedenen Gemeinden neu gedacht werden müssen. Deshalb kommen noch einmal zwei Menschen zu Wort, die tagtäglich mit diesen Situationen konfrontiert sind: Pfarrer Bertram Tippelt (Berlin-Gropiusstadt) und Pfarrer Friedemann Knizia (Ev. Kirchengemeinde Lindlar, NRW) sprechen miteinander über die Bedeutung der Gemeinde in der Stadt sowie auf dem Land. Hierbei stehen mehrere Aspekte im Vordergrund, die in anderen Vorträgen schon angeklungen sind. Zum einen wird Kirche nur dann ihren Stellenwert in der Stadt erhalten können, wenn auch von Seiten der Gemeinden in neuen Wegen gedacht wird. Pfr. Tippelt schildert dies eindrücklich anhand seiner Erfahrungen mit der Einrichtung einer Großküche in den Gemeinderäumen, die mittlerweile auch von anderen Institutionen und Nachbarn genutzt wird. Was ihn erschreckt hat, ist die Tatsache, dass eine Studentengruppe vor Kurzem bei einer Bestandsaufnahme zur sozialen Infrastruktur keine einzige Kirche mehr eingezeichnet hat, hier muss gehandelt werden. Pfr. Knizia greift diese Gedanken auf und berichtet aus seinen Erfahrungen in der Neuausrichtung seiner evangelischen Gemeinde, die sowohl ein Kirchengebäude aufgegeben hat, aber gleichzeitig – mit dem Jubilate Forum – auch ein neues Begegnungszentrum geschaffen hat, das nun von allen Bewohnern der Kommunalgemeinde genutzt wird.

In der abschließenden Gesamtrunde wird als Fazit gezogen, dass viel über Kirche in der Stadt gesprochen, aber die eigentliche Frage jetzt sein müsste, was es bedeutet Stadt mit Kirche zu diskutieren. Vielleicht kann hier bei der nächsten Tagung angeknüpft werden.

(Bericht Tag 1: Tobias Meier, Bericht Tag 2: Sofie Krogh Christensen)