Quelle: Stadtvisionen

Am morgigen Donnerstag, 14.Oktober um 19 Uhr, eröffnet in der TU Berlin die Ausstellung Stadtvisionen 1910|2010 (urbanophil berichtete). Vorab führte urbanophil ein Interview zur Ausstellung – die Fragen beantworteten Aljoscha Hofmann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, TU Berlin; wissenschaftliche Mitarbeit an der Ausstellung) und Dr. Hans-Dieter Nägelke (Frage 1; Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin und gemeinsam mit Prof.Dr. Harald Bodenschatz Initiator der Ausstellung). Die Fragen stellte Verena Pfeiffer.

1. Herr Dr. Nägelke, 1910 war Städtebau in Berlin ein wichtiges Thema. Es war das Jahr, in dem der Wettbewerb Großstadt Berlin durchgeführt wurde und in dem Karl Scheffler seine Berlin-Analyse mit den berühmten Worten schloß,  “Berlin sei dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein” und es wurde die Berliner Städtebau Ausstellung 1910 durchgeführt – vor welchem Hintergrund kam diese zustande? Wer sah zur ihrer Initiierung welchen Anlass und an wen richtete sie sich?

Karl Schefflers ebenso unbarmherzige wie polemische Abrechnung mit dem kaiserzeitlichen Berlin und die „Allgemeine Städtebau-Ausstellung 1910“ gründeten auf ein gemeinsames Unbehagen an einer Großstadt, die ihr allzu rasches Wachstum weder sozial, noch infrastrukturell, noch ästhetisch hatte bewältigen können. Anders als Scheffler aber suchte die Städtebau-Ausstellung Lösungen. Sie fußte auf dem 1908 nach einer längeren Vorgeschichte durch die berufsständische Verbände, die Stadt Berlin und ihre Umlandgemeinden ausgelobten Wettbewerb Groß-Berlin. In ihm sollten erstmals grundsätzliche Antworten auf die ungeregelte Expansion der Stadt und die katastrophalen Wohnverhältnisse der Unterschichten gefunden werden: ausdrücklich nicht nur nach technischen und wirtschaftlichen Aspekten, sondern auch nach künstlerischen Grundsätzen.

Die Ergebnisse des Wettbewerbs waren keinesfalls ein Plädoyer gegen die Großstadt und für deren Auflösung, sondern sie orientierten auf deren Verbesserung und Rationalisierung, auf eine gestufte Großstadt mit einer monumentalen Mitte, mit reformierten urbanen Baublöcken in der Innenstadt und mit Gartenvororten um kleine Zentren im suburbanen Raum. Allerdings hatte die Konkurrenz mitnichten die Resonanz gefunden, die die Auslober erhofft hatten. 27 Entwürfe waren eingegangen, einige davon nur als Teilentwürfe, viele vollständig unbrauchbar. Wohl auch wegen dieses mageren Ergebnisses beschlossen die Initiatoren deshalb, den Wettbewerb „Groß-Berlin“ zu einer größeren, eben „allgemeinen“ Städtebauausstellung auszuweiten, die mit weit über eintausend Katalognummern versuchte, ein weites Spektrum aktueller Tendenzen des europäischen und amerikanischen Städtebaus aufspannen. Mit Erfolg: Die in der Charlottenburger Hochschule für die Bildenden Künste präsentierte Schau hatte mit über 65.000 Besuchern nicht nur eine überragende, weit über die Fachöffentlichkeit hinaus reichende Resonanz, sondern wurde als Wanderausstellung auch über Berlin und Deutschland hinaus wirksam.

2. Was sind, Deiner Meinung nach, Aljoscha, die Inhalte, die den heutigen städtebaulichen Diskurs charakterisieren und charakterisieren sollten?

 

Da sind zum einen natürlich die Themen, die derzeit sehr stark auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Entwicklung zu einer post-industriellen Gesellschaft und damit post-industriellen urbanen Räumen. Der Begriff der „Post-Oil-City“ vermittelt hierbei zwischen dem Abschied von der industrialisierten Gesellschaft und den Anforderungen und Herausforderungen an eine Gesellschaft, die mit veränderten Lebensstilen, Gesellschaftsbildern und globalen Entwicklungen wie dem Klimawandel und der massiven Bevölkerungsentwicklung – zum einen noch immer Schrumpfungsprozesse beispielsweise in vielen Städten der ehemaligen DDR, zum anderen massives und teilweise unkontrolliertes Wachstum der Städte in Ländern wie China  und Indien, aber auch Städte wie Sydney und London wachsen noch immer massiv – konfrontiert ist.

Dies sind jedoch vor allem die großen Diskurse vor denen der Städtebau steht. Im einzelnen – besonders auf der Betrachtungseben der einzelnen Stadt und Stadtregion – stehen oftmals andere Probleme im Vordergrund. Ein Aspekt, der sicherlich in den kommenden Jahren noch stärker in den Vordergrund treten wird und muss ist die Frage nach sozialer Mischung in der Stadt und wie diese auch mit städtebaulichen Mitteln erhalten, bzw. wieder gestärkt werden kann. Für Deutschland, aber auch speziell Berlin bedeutet dies, dass das Thema des sozialen Wohnungsbaus in Zukunft wieder auf die Agenda muss. Welche Folgen soziale Segregation haben kann, zeigen die Pariser Banlieues sehr deutlich.

3. Welche inhaltlichen Erkenntnisse haben Dich in der Vorbereitung der Ausstellung am meisten beeindruckt oder vielleicht auch überrascht?

Besonders beeindruckend ist für mich immer wieder die Erkenntnis, dass man als Architekt oder Planer im Alltag meist zu wenig über den eigenen Tellerrand hinausschaut. So zeigen sich beispielsweise in allen vier Städten ähnliche Herausforderungen, von den Lösungen oder zumindest Lösungsansätzen weiß man jedoch viel zu wenig. Überraschend dabei ist nicht so sehr, dass an anderen Orten über ähnliche Themen gesprochen wird, sondern vielmehr hat sich für mich gezeigt, dass man das Rad nicht immer neu erfinden sollte. Der internationale Erfahrungsaustausch sowie die Beschäftigung mit vergangenen Lösungsansätzen und Projekten macht nicht nur Spaß, sie sind zwingend notwendig und sollten wieder mehr im Vordergrund stehen.

4. Wie werden die Inhalte in der Ausstellung präsentiert?

Der größte Teil der Projekte wird mit Abbildungen, Texten und Fakten als klassische Tafelausstellung gezeigt. Es werden aber auch eindrucksvolle Originale aus der Zeit um 1910 aus den Archiven des Architekturmuseums gezeigt. Dazu kommen einige Modelle zu verschiedenen Projekten, darunter ein interaktives Modell von LIN zum Gutachterverfahren Grand Pari(s).

Besonders spannend ist dabei, dass die Städte jeweils in verschiedenen Themenfeldern, beispielsweise dem „Kult des großen Plans“ oder „urbane Alternativen zur hoch verdichteten Innenstadt“ als Themen um 1910 und „alte Arbeiterquartiere: Brennpunkte des sozialen Wandels“ oder dem aktuellen Thema „Stadtbrachen: Potentiale mit Zukunft“ als zwei der Themenfelder um 2010 zueinander in Bezug gesetzt werden. Der Besucher wird also ganz kompakt informiert, wie die vier Städte auf unterschiedliche Weise mit den unterschiedlichen Herausforderungen umgehen.

5. Und Deine ganz persönliche Meinung, Aljoscha: Was ist Dein Highlight der Ausstellung bzw. des Begleitprogramms?

Das Begleitprogramm ist sehr umfangreich und vielfältig, besonders freue ich mich dabei natürlich auf die Lunchtime Lectures am 29.10. an der TU zum Thema: Shaping Berlin’s Spaces: Lessons from London, welche ich selbst mit organisiere und bei welcher wir den bereits genannten internationalen Erfahrungsaustausch – in diesem Fall auch zwischen den Verwaltungsebenen der beiden Städte – in den Vordergrund stellen. Interessant werden sicherlich aber alle der Begleitveranstaltungen. Das Themenfeld ist riesig und für jedes Interesse etwas dabei. Nicht verpassen möchte ich dabei auf jeden Fall die Diskussionsveranstaltung: „Stadtrendite – vom Zusatznutzen zum Mehrwert an städtischer Qualität“ des Deutschen Werkbunds und des Architekturmuseums der TU am 22.11. Das Thema Qualität kommt in vielen Debatten, gerade in Berlin oftmals leider zu kurz.

Ein spezielles Lieblingsprojekt in der Ausstellung habe ich „noch“ nicht, vielmehr freue ich mich darauf endlich mit mehr Zeit auch die anderen Themenfelder in Ruhe betrachten zu können – ich selbst habe hauptsächlich am Ausstellungsteil Berlin 2010 mitgearbeitet. Dafür blieb in den letzten Monaten während der Vorbereitung erstaunlich wenig Zeit.

Vielen Dank für das Interview!