Quelle: von Königlich Preussische Messbildanstalt [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Bethlehemskirche Berlin (1910)

“Zu Bethlehem geboren…” – eine hoffentlich dauerhafte Erinnerung an das barocke Berlin.

Man kann sich trefflich darüber streiten, wieviel vom barocken Berlin eigentlich übrig geblieben ist. Der Bauboom des 19. Jahrhunderts, die Beschädigungen und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und natürlich die im Westen und Osten von den jeweiligen Ideologien geprägte Wiederaufbauzeit haben die Bausubstanz und Ausstattungen des 16. bis mittleren 18. Jahrhunderts jedenfalls ziemlich dezimiert. Gewiss, da steht das Brandenburger Tor, an der Prachtstraße unter den Linden gibt es die berühmte Königliche Bibliothek, das Zeughaus ist da, die Kirchen am Gendarmenmarkt, die Sophienkirche überdies, in Charlottenburg das Schloss – um ein paar wichtige Bauten zu nennen. Vieles ist aber auch von späteren Zeiten überformt oder eben einfach ersetzt worden.

Bewahrt ist es in der Erinnerung und in Bild- und Textquellen; manchmal auch baulich auferstanden als eine Art Klon, wie insbesondere das Ephraim-Palais. Bei einem Bau hat sogar die Erinnerung über alle Realitäten und, so sollte man meinen, über Vernunft und Anstand gesiegt: Das Stadtschloss wird wiedererstehen, wobei mit dieser Ausdrucksweise ja schon den Befürwortern das Wort geredet ist. Streng genommen muss es heißen: Es entsteht der Neubau des Humboldt-Forums, dessen Äußeres auf drei Fassaden einen an Quellen eng orientierten und mit erhaltenen Originalteilen bestückten Neubau der restlos abgeräumten barocken Fassaden darstellt. So ist das. Es wird natürlich im Volksmund irgendwann Stadtschloss heißen, genau wie der Bundestag gelegentlich mit dem Reichstag verwechselt wird.

Lichtinstallation bei NachtQuelle: Leopold Krumpe

Lichtinstallation bei Nacht

Es gibt in Berlin auch eine Erinnerung an einen Barockbau, die mehr Aufmerksamkeit verdient, weil sie eine bemerkenswerte gestalterische Lösung ist. Und während das Stadtschloss-Humboldtforum wohl, keinen weiteren politischen Ideologiewechsel vorausgesetzt, für immer stehen wird, ist die Dauerhaftigkeit dieser Erinnerung noch nicht gesichert: Am Bethlehemkirchplatz steht die große Lichtinstallation, die zwanglos, aber tiefgründig an die verschwundene Bethlehemkirche erinnert. Ein verschwundener Kirchenbau, von dem vielleicht gar nicht mehr viele wissen. Umso besser, dass dieses Monument dafür entstanden ist.

Ein Blick in die Geschichte: Die Bethlehemkirche stammt aus den 1730er Jahren. Der bemerkenswerte Rundbau mit leicht vorspringenden Kreuzarmen und markanter, laternenbekrönter Kuppel barg einen ganz auf die Wortverkündigung, die Predigt, ausgerichteten Zentralraum, was für die evangelische Tradition durchaus typisch war. Errichtet wurde die Kirche für die Gemeinde der Böhmischen Evangelischen in Berlin, die ihre Tradition auf die Reformationsbewegung der Böhmischen Brüder und deren Bethlehemkapelle in Prag zurückführten.

Über die Geschichte dieser Gemeinde in Berlin seit dem 18. Jahrhundert wäre viel zu berichten, doch soll hier die Kirche im Mittelpunkt stehen. Über Jahrhunderte gepflegt und in ihrer Ausstattung immer wieder teilweise ergänzt, erlitt sie im November 1943 bei einem schweren Luftangriff starke Schäden: Sie brannte bis auf die Außenmauern aus, das Dach war vollständig verloren. Nach 1945 stand die Ruine dar, an einen Wiederaufbau war nicht zu denken. Der Stadtplanung im Ost-Berlin stand sie dann irgendwann offenbar im Weg und passte nicht ins Bild der Hauptstadt der DDR: Entweder 1954 oder 1963 – die Angaben gehen erstaunlicherweise auseinander – wurde die Ruine abgetragen, die selbstverständlich ohne weiteres aufbaufähig gewesen war. Beim Stadtschloss war es ja nicht anders, und besser noch: Es war beim staatlich verordneten Abbruch sogar schon teilweise wiederaufgebaut.

Am früheren Standort, der Einmündung der Krausenstraße in die Mauerstraße, blieb ein Platz, teilweise von Neubauten der Nachkriegszeit umstanden. Erst 1999 erhielt er den Namen Bethlehemkirchplatz, um an die abgebrochene Kirche zu erinnern. Eine Erinnerung war seither im Bodenbelag zu sehen: Der Grundriss der Kirche wurde durch Pflastersteine nachgezeichnet.

Die endlich so richtig ins Auge springende Erinnerung konnte 2012 gebaut werden: Der spanische Lichtkünstler Juan Garaizabal schuf für das Projekt “Memorias Urbanas” eine Nachbildung der Kirche im Volumen des Ursprungsbaus und in situ. Das Grundrissmosaik wurde durch diese Installation sinnvoll ergänzt. Sie besteht aus im Boden verankerten Stahlsäulen und Stahlrohren, die die Konturen der Kirche nachzeichnen und dabei die Originalhöhe von 30 Metern erreichen. Wie ein Skelett ist die Kirche nun wieder da, sichtbar und zugleich unsichtbar. Besonders sichtbar ist sie nachts, wenn die mehreren hundert Meter LED-Röhren das Werk farbig illuminieren. Wie feingliedrig erscheint doch diese Annäherung an die Geschichte: Kein bemaltes Planentuch, kein Neubarock des 21. Jahrhunderts aus Werkstein, sondern eine durchlässige Figur, die man spielerisch beschreiten kann und die den Platz markiert, ohne ihn zu besetzen oder gar so zu tun, als sei die Kirche nicht weg.

Viele Menschen und Berliner Geschichtsvereine haben sich für einen dauerhaften Verbleib dieser Erinnerung eingesetzt, die ursprünglich nur für wenige Monate geplant war. Die ersten politischen Hürden sind genommen, und es bleibt zu hoffen, dass sich die Statik als dauerhaft tragfähig erweisen wird. Vielleicht ranken eines Tages sogar Kletterpflanzen in das Gerüst und machen die Kirche zu einer begrünten Laube? Diese zwanglose, doch eindrucksvolle Erinnerung an einen wunderbaren Bau, dessen Schicksal den Geschichtsverlauf in Erinnerung hält, ist ein kleiner baukultureller Höhepunkt in Berlin-Mitte. Und sie kommt ganz ohne Türen aus!

Ungeliebte und problematische Bauten beschäftigen ihn seit langem: Der Autor Martin Bredenbeck hat 2011 in Kunstgeschichte promoviert und sich dafür mit geschlossenen, umgebauten und abgebrochenen Kirchen beschäftigt. Die Profanarchitektur des 20. Jahrhunderts ist ein weiterer Schwerpunkt, zu dem er forscht, Vorträge hält und Führungen anbietet. Er ist Gründungsmitglied der Bonner Kulturgruppen Initiative Beethovenhalle und Werkstatt Baukultur sowie in mehreren anderen Architektur- und Denkmalpflegevereinigungen ehrenamtlich tätig. Mehr zur Werkstatt hier.