© Morgenpost, ca. 1980

Das “Turmkunst“-Projekt am Bierpinsel war erfolgreich: Für die Besitzer des Turms zur Wertsteigerung, für die Künstler als PR, für Steglitz als Standort und auch für den Bierpinsel, der durch die Aktion wieder öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat.
Auch urbanophil hat mit den Machern von “Turmkunst” kooperiert und im April und Mai 2010 die fünfteilige Veranstaltungsreihe “Schonungslos retro – urbanophil im Bierpinsel” veranstaltet. Dabei hat urbanophil die Bemalung des verkannten Denkmals Bierpinsel immer kritisch kommentiert, doch zugleich auch das Potential für die öffentliche Inwertsetzung gesehen. Doch dies galt immer im Vertrauen an das Versprechen der Geschäftsführerin der Schloss-Turm GmbH Larissa Laternser, das die Bemalung nach einem Jahr entfernt und der ursprüngliche Zustand des Turms wiederhergestellt würden. Es sind mittlerweile 13 Monate vergangenen und der Turm ist immer noch bemalt. Zeit aktiv zu werden!

Der Bierpinsel ist eines der ungewöhnlichsten Gebäude Berlins. Er ist ein weltweites Unikat. Durch Standort, Form und Farbe ist er ein wichtiges stadtbildprägendes Element für Südwest-Berlin. Doch ebendiese Farbe ist übermalt worden mit Graffitis, die durch ihre Unruhe die klare und außergewöhnliche Formensprache des Turms überlagern. Gemeinsam mit der Hochstraße und dem U-Bahnhof Schloßstraße bildet er eine erfahrbare funktionale und gestalterische Einheit. Er dient als vertikale Erschließung des multidimensionalen Verkehrsknoten Steglitz. Die dem gotischen Kathedralbau entlehnte Konstruktion ist kühn: Aus nur 42 m² Grundfläche entwickeln sich über 1.000 m² Nutzfläche auf vier Geschossen. Von jeder Ebene des Turms besteht ein spektakulärer 270 Grad-Blick über die Dächer Steglitz’.
Dass alldiese Qualitäten zumeist unverstanden blieben hatte vielfältige Gründe. So litt das Ansehen des Turms – wie so viele andere Projekte dieser Zeit – unter dem legendären Berliner Filz, der zu einem mehrjährigen Baustopp und späterer Vollendung mit öffentlichen Geldern führte. Darüber hinaus fehlte die Erfahrung der ausführenden Firmen mit einigen der verwendeten Materialien, so dass rasch nach Baufertigstellung Feuchtigkeitsprobleme bei der Hochstraße auftraten, die zu Schmuddelecken führten. Und einige wichtige Gestaltungsdetails sind bereits in den 1990er-Jahren durch Umbauten verloren gegangen – unter Federführung von Schüler/Schüler-Witte.

Der Bierpinsel im Mai 2011 (Foto: Autor)

Folgerichtig hatte der Verkehrsknoten und der Bierpinsel von Beginn an Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit, so dass es nicht verwunderlich ist, dass die Steglitzer Lokalpolitiker sich vor Kurzem für eine Beibehaltung der Graffitis ausgesprochen haben. Dass die BVV hier einem gemeinsamen Antrag von FDP (Standort, Standort über alles) und Grünen (traditioneller Hass auf 70er-Jahre-Architektur auf Grund der Erfahrungen mit der Kahlschlagsanierung dieser Zeit) zugestimmt hat, muss als Ausdruck der fehlenden Sensibilität für die Qualität dieses städtebaulichen und architektonischen Erbes gedeutet werden. Der Inwertsetzungsprozess, den der Bierpinsel – auch dank der “Turmkunst”-Aktion – seit einiger Zeit in der internationalen Architekturszene erfährt, wird dabei von der BVV nicht gesehen. Und auch, dass nach 13 Monaten kein Tourist mehr wegen den Graffitis nach Steglitz fährt, ein wohlgepflegtes Architekturdenkmal dagegen ein nachhaltiges Potential für das Alleinstellungsmerkmal des Standorts darstellt, wird nicht verstanden.
Die Denkmaldebatte um 70er-Jahre-Architektur hat bislang in Deutschland nur zaghaft begonnen. Und so ist wohl kaum zu erwarten, dass Lokalpolitik die progressive Speerspitze für die Unterschutzstellung eines Bauwerks wie den Bierpinsel bildet. Was allerdings von Politik erwartet werden kann und muss ist, dass Zusagen und Vereinbarungen eingehalten werden. Grundvoraussetzung für die bezirkliche Zustimmung zum “Turmkunst”-Projekt war nach Aussage des Baustadtrats Stäglin das Versprechen von der Schloss-Turm GmbH, die Graffitis nach einem Jahr wieder zu entfernen. Wenn dieses Versprechen nun gebrochen wird, ist es die Verantwortung des Bezirks, die Entfernung der Graffitis durchzusetzen. Per Anwalt oder Hochdruckreiniger. Schließlich ist er Eigentümer des Bauwerks, das per Erbpacht dem Betreiber überlassen wurde. Im Erbpachtvertrag ist dabei eindeutig festgeschrieben, dass substantielle Veränderungen des Bauwerks oder der Nutzung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Bezirks zulässig sind.
Es steht zu befürchten, dass die rechtliche Handhabe dennoch schwierig werden könnte, da der Bezirk die Entfernung der Graffitis nicht vertraglich abgesichert hat. In einer Stadt wie (West-)Berlin heute noch auf das Wort eines Immobilienspekulanten zu vertrauen, erscheint gerade zu wie eine Parodie, zumal der Bezirk beim Bierpinsel bereits 1972 einem windigen Spekulanten aufgesessen war. Doch während damals das Ergebnis eine herausragende Architekturikone war, sind die Graffitis der “Turmkunst”-Aktion bereits 13 Monate nach ihrer Herstellung belanglos geworden.
Zeit zu handeln! Der Turm und der U-Bahnhof müssen wieder in ihren bauzeitlichen Zustand zurückgeführt werden!

Übrigens: Dass auch bei Respektierung des (noch nicht existierenden) Denkmalschutzes des Bierpinsels das Umfeld des Turms neu gedacht, geplant und entworfen werden kann, zeigt die Ausstellung der Ergebnisse des Urban Design Workshops der TU Berlin und der Politechnika Warszawa, die ab 7.6.2011 im alten Rathaus Steglitz gezeigt wird.

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