Mit Sorge beobachtet die Initiative Kerberos die Planungen zur substanzgefährdenden Translokation des denkmalgeschützten Busbahnhofs in Chemnitz.
Sie hat daher einen offenen Brief an
Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister des Innern
Alf Furkert, Sächsischer Landeskonservator
Barbara Ludwig, Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz
Michael Stötzer, Baubürgermeister der Stadt Chemnitz
Thomas Morgenstern, Leiter Untere Denkmalschutzbehörde Chemnitz
Mathias Frey, Vorsitzender des Aufsichtsrates Regionalverkehr Erzgebirge
Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Rektor der Technischen Universität Chemnitz
geschrieben. Zahlreiche Expert*innen aus Wissenschaft und Denkmalpflege haben als Erstunterzeichner*innen mitgezeichnet. Im Kern des Briefes steht die Anregung, die Planungen zum Busbahnhof Chemnitz nochmals intensiv zu prüfen.
urbanophil veröffentlicht hier den kompletten Wortlaut des Briefes. Als PDF kann der Brief hier heruntergeladen werden.
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an:
Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister des Innern,
Alf Furkert, Sächsischer Landeskonservator,
Barbara Ludwig, Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz,
Michael Stötzer, Baubürgermeister der Stadt Chemnitz,
Thomas Morgenstern, Leiter Untere Denkmalschutzbehörde Chemnitz,
Mathias Frey, Vorsitzender des Aufsichtsrates Regionalverkehr Erzgebirge
Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Rektor der Technischen Universität Chemnitz
Chemnitz, August 2019
Offener Brief zum Erhalt des Experimentalbaus
„Pylonen-Hängedach“ am Chemnitzer Busbahnhof
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wöller,
Sehr geehrter Herr Furkert,
Sehr geehrte Frau Ludwig,
Sehr geehrter Herr Stötzer,
Sehr geehrter Herr Morgenstern,
Sehr geehrter Herr Frey,
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Strohmeier,
täglich reisen hunderte Chemnitzer*innen und Stadtbesucher*innen mit dem Bus in Chemnitz an und ab. Die „Stadt der Moderne“ begrüßt und verabschiedet die Busreisenden mit einem außergewöhnlichen ästhetischen Statement und Denkmal der ost-modernen Ingenieurbaukunst: dem Pylonen-Hängedach des Busbahnhofs, das als seltene Konstruktion dieser Art in Deutschland weit über Chemnitz hinaus bekannt und geschätzt ist.
Geplant und errichtet wurde der Bau in den 1960er Jahren mit hohem ästhetischen und wissenschaftlichen Anspruch: die Bauakademie der DDR ließ ihn als technischen Experimentalbau durch den Architekten Johannes Meyer und den Bauingenieur Christian Weise ausführen. Ein Experiment der Tragwerkslehre, ein Experiment in der Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur und nicht zuletzt ein ästhetisches Experiment, dessen beeindruckendes Ergebnis hohen Identifikationswert entfaltet.
Das 1200 Quadratmeter große Dach, freitragend an Stahlseilen aufgespannt, macht den Busbahnhof mitsamt seiner Umgebung aus Klapperbrunnen, Aktienspinnerei, Schillerplatz und den Fassaden des Brühl-Quartiers im Hintergrund, zu einem einzigartigen und identitätsstiftenden Bauwerk und Zeugnis ostmoderner Verkehrs- und Architekturgeschichte. Der zentrale Omnibusbahnhof ist mitsamt seiner direkten Umgebung von baugeschichtlicher, stadtgeschichtlicher und verkehrsgeschichtlicher Bedeutung.
Ankommen in Chemnitz heißt also Ankommen am einzigartigen Chemnitzer Pylonen-Hängedach, einem der herausragenden Beispiele für die Chemnitzer Moderne. Doch wie lange noch?
Im Rahmen einer Informationsveranstaltung zu den Planungen für das Theaterquartier und das Bauvorhaben Busbahnhof informierte Baubürgermeister Michael Stötzer am 06.06.2019 im Open Space Chemnitz über den geplanten Umgang mit dem Pylonen-Hängedach. Mit Verweis auf die Festlegungen des Bebauungsplan Nr. 96/23 „Schillerplatz/Aktienspinnerei – südliches Teilgebiet Schillerplatz“, durch den Chemnitzer Stadtrat beschlossen am 20.09.2017, stellte er klar, dass im Falle der Realisierung des am gleichen Standort geplanten Instituts-Neubaus der TU Chemnitz durch den Freistaat Sachsen das denkmalgeschützte Pylonen-Hängedach umzusetzen und zu erhalten ist.
Doch aus der bisherigen Aktenlage wird nicht ersichtlich, ob und wie der vollständige Erhalt des Pylonen-Hängedaches bei einer Translokation sichergestellt werden kann.
Die Unterzeichner*innen dieses Briefes fordern daher den Freistaat Sachen und die Stadt Chemnitz mit ihren dafür zuständigen Stellen auf,
- das Gutachten zu veröffentlichen, in dem die bauliche Erhaltung des Pylonen-Hängedaches im Fall einer Translokation an einen anderen Standort belegt ist,
- ein unabhängiges Vergleichsgutachten zu veranlassen und dessen Ergebnis in die Entscheidung einzubeziehen,
- den Erhalt, die denkmalgerechte Instandsetzung und die Umnutzung des Pylonen-Hängedaches an seinem jetzigen Standort (erneut) zu prüfen
- die städtebauliche Rahmenplanung für die Neubebauung vor der Aktienspinnerei (Bebauungsplan Nr. 96/23 „Schillerplatz/Aktienspinnerei – südliches Teilgebiet Schillerplatz“) zugunsten des Erhalts des Pylonen-Hängedaches inklusive Nutzungskonzept zu überarbeiten.
Bitte teilen Sie uns Ihre Stellungnahme zu den o.g. Forderungen bis zum 31.08.2019 mit.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gundula Lang (Köln),
Dr. Ralf Liptau (Wien),
Dr. Verena Pfeiffer-Kloss (Berlin),
Dr. Frank Schmitz (Hamburg/Berlin)
im Namen der Initiative Kerberos
Die Erstunterzeichner:innen
Daniel Bartetzko, moderneREGIONAL
Frankfurt am Main
Dr. Karin Berkemann, moderneREGIONAL
Frankfurt am Main
Dr. Martin Bredenbeck, Kunsthistoriker, Geschäftsführer Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz
Bonn
Prof. Ulrike Brummert, docteur d’Etat, Institut für Europäische Studien, Lehrstuhl Romanische Kulturwissenschaft, Technische Universität Chemnitz
Dr. Andreas Butter, Leibnitz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Historische Forschungsstelle
Erkner
Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper, Technische Universität Berlin, Institut für Stadt- und Regionalplanung, Fachgebiet Denkmalpflege
Berlin
Beate Düber, Schauspielerin, Kunstvermittlerin
Chemnitz
Marco Dziallas, Netzwerk ostmodern.org
Dresden
Dr. Harald Engler
Leibnitz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Stellvertretender Abteilungsleiter, Historische Forschungsstelle
Erkner
Dr. Mark Escherich, Denkmalpfleger
Erfurt
Dr. Thomas Flierl, Vorsitzender Hermann-Henselmann-Stiftung, Bauhistoriker, Kulturwissenschaftler, Publizist
Berlin
Matthias Hahndorf, Netzwerk ostmodern.org
Dresden
Prof. Dr. Jörg Haspel, Präsident des deutschen Nationalkomitees des Internationalen Denkmalrats ICOMOS
Berlin
Dr. Roman Hillmann, Architektur- und Stadthistoriker
Berlin
Wolfgang Kil, Architekturkritiker und Publizist
Berlin
Christian Kloss, Technische Universität Berlin, Institut für Stadt- und Regionalplanung, FG Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten und urbanophil.net – Netzwerk für urbane Kultur e.V.
Berlin
Klaus Kowalke, Buchhandlung Lessing und Kompanie
Chemnitz
Felix Kummer, Musiker
Chemnitz
Jan Kummer, Künstler
Chemnitz
Till Kummer, Musiker
Chemnitz
Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Honorarprofessor für Bautechnikgeschichte, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Cottbus
Martin Maleschka, Architekt, Fotograf
Cottbus
Dr. Roland May, Architektur- und Bautechnikhistoriker
Cottbus/Berlin
Prof. Dr. Hans Rudolf Meier, Kunsthistoriker, Professur Denkmalpflege und Baugeschichte, Bauhaus- Universität Weimar
Weimar
Susann Meysick, Buchhandlung Lessing und Kompanie
Chemnitz
Martin Neubacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Professur für Baugeschichte TU Dresden
Dresden
Dr. Philipp Meuser, Architekt BDA, Publizist
Berlin
Anja Richter, Kuratorin
Chemnitz
Juliane Richter, Kunsthistorikerin
Leipzig
Dr. Felix Richter, Architektur- und Stadthistoriker, Kommunikationsdesigner
Leipzig
Prof. Dr. Thomas Topfstedt, Institut für Kunstgeschichte
Leipzig
Prof. Dr. Leo Schmidt, BTU Cottbus-Senftenberg, Fachgebiet Denkmalpflege
Cottbus