Fahrräder verschiedener Berliner Fahrradverleihsysteme vor der Technischen Universität

Seit Jahren prägen sie mehr oder weniger das Berliner Stadtbild: die beiden Fahrradverleihsysteme Call a Bike (mittlerweile Lidl-Bike) und der Konkurrent nextbike. Doch wer aufmerksam durch die Stadt läuft, bemerkt aktuell einen großen Umbruch. Denn Verleihräder neuer Systeme mit klangvollen Namen wie „mobike“ oder „obike“ tauchen plötzlich vermehrt auf Berliner Gehsteigen auf. Doch warum tut sich Berlin eigentlich so schwer mit einer funktionierenden, einheitlichen Fahrrad-Ausleihstruktur, wie sie in vielen anderen internationalen Großstädten existiert? Ein Erklärungsversuch.

Um die aktuelle Situation zu bewerten lohnt sich ein Blick auf die Geschichte der Berliner Fahrradverleihysteme. In den frühen 2000er Jahren startete Call a Bike in Berlin, ein Angebot der Bahn-Tochter DB Rent. Die Räder konnten flexibel ausgeliehen und wieder abgestellt werden, das System war somit stationsungebunden. Aus dieser Zeit stammt auch der Name des Angebots, denn Nutzer*innen riefen tatsächlich eine Telefonnummer an, um ein Fahhrad zu entleihen. Im Jahr 2011 dann der Umbruch: Call a Bike wurde auf ein stationsgebundenes System umgestellt, die Räder waren fortan nur noch an Stationen im Berliner Stadtgebiet zu finden, wo die Ausleihe und Rückgabe möglich war. Die treuen Fans der freien Entleihe und Rückgabe waren verstimmt, jedoch wurde im Laufe der Jahre trotzdem expandiert und immer mehr Stadtteile erhielten Call a Bike Stationen mit den legendär formlosen Betonblöcken. Anders als in Hamburg beispielsweise, wo das dortige erfolgreiche StadtRAD Hamburg ebenfalls von der DB Rent betrieben wird, fasste Call a Bike in Berlin jedoch nie so richtig Fuß. Insbesondere die täglichen Ausleihhäufigkeit pro Fahrrad blieb in Berlin sehr niedrig.

Im Jahr 2015 schien der Berliner Senat die Wichtigkeit eines gut funktionierenden städtisch geförderten Verleihsystems verstanden zu haben und schrieb öffentliche Gelder dafür aus. Ein leichtes Spiel für Call a Bike könnte man meinen, denn gewünscht war ein stationsgebundenes System. Call a Bike und der junge Konkurrent nextbike, ein Leipziger Startup und bislang nur als stationsloses und kleines System in Berlin aufgetreten, bewarben sich beide um die Förderung. Und dann der Paukenschlag: nextbike erhielt den Zuschlag. In der Folge musste Call a Bike in Berlin den Betrieb einstellen, und sämtliche über hundert Verleihstationen abbauen. Die Bahn, pikiert über den Vorzug von nextbike, kündigte jedoch direkt an, dass man den Berliner Markt nicht einfach verlassen wolle.

Leihräder von den Anbietern nextbike und Lidl-Bike

Nexbike begann in der Folge den Aufbau der eigenen Entleihstationen, ironischerweise sehr häufig auf ehemaligen Flächen des Konkurrenten Call a Bike, die waren ja nun frei und hatten sich als Ausleihflächen bewährt. Zunächst plagten nextbike Startschwierigkeiten, die Stationen entstanden nicht so schnell, wie versprochen. Auch verärgerte nextbike die Nutzer*innen, denn eine in Aussicht gestellte Tarifvergünstigung für Monatsticket-Abonnenten gab es schlussendlich nicht. Dies gilt als ein wichtiges Kriterium, um die Nutzung eines Fahrradverleihsystems möglichst attraktiv zu machen. Überraschend gab Nextbike im Jahr 2017 die Kooperation mit Deezer bekannt, die Räder sind seitdem großflächig mit dem Logo des Musikstreamingdienstes beklebt.

Doch das sollte nicht die einzige Kooperation im Berliner Fahrradverleih-Zirkus bleiben. Die Bahn gab die Rückkehr von Call a Bike bekannt, jedoch mit neuem Namen. Man hatte sich mit Discounter Lidl zusammengetan, das System firmiert also seit seinem Start im Frühjahr 2017 als Lidl-Bike. Sowohl nextbike als auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung reagierten verstimmt auf diese Ankündigung. Besonders pikant an den Lidl Bikes: sie kommen ganz ohne Station aus, können also wie schon damals zu Call a Bike-Zeiten zu Beginn der 2000er Jahre stationsungebunden einfach im Stadtraum abgestellt werden. Die Bahn hat in fast 20 Jahren Fahrradverleih ihr System also folglich von stationsungebunden auf stationsgebunden, und nun wieder auf stationsungebunden umgestellt. Konkurrent nextbike hingegen von stationsungebunden auf stationsgebunden. Jedoch lässt nextbike aktuell zu, dass die Räder auch nicht an Stationen zurückgegeben werden können, da man sich noch in der Ausbauphase befinde. Die Verwirrung und Verunsicherung von potentiellen Nutzer*innen scheint bei dieser wechselhaften Geschichte vorprogrammiert.

Doch den größten Umbruch in der Berliner Fahrradverleihlandschaft erlebten die Berliner*innen in den letzten Monaten. Seit Herbst 2017 sind gleich vier neue Anbieter mit einer unglaublich hohen Anzahl an Fahrrädern auf dem Berliner Markt aufgetaucht. Mobike und Obike aus Singapur, Byke aus Berlin und Donkey Republic aus Dänemark sind die neuen Player auf dem Feld. Sie machen sich die Tatsache zu Nutze, dass das stationsungebundene Abstellen von Verleihrädern quasi überall auf öffentlichem Straßenland möglich ist, ganz ohne Genehmigung. Alleine Mobike, im November mit 700 Rädern in Berlin gestartet, will nach eigenen Angaben in Berlin bald 10.000 Fahrräder einsetzen. Zum Vergleich: nextbike, das offizelle Berliner Verleihsystem, ist aktuell nur mit 2000 Rädern in Berlin vertreten.

Die Stadt scheint sich noch in einer Art Schockstarre ob der Fahrradflut zu befinden. Nextbike und Lidl-Bike versichern, dass die eigenen Nutzungszahlen trotz der Fahrradflut nicht gesunken seien. Doch bei den Bürger*innen Berlins scheint sich Unmut breit zu machen. Vielerorts findet man Räder aller Anbieter auf dem Boden liegen. Das Umwerfen und bewusste Vandalieren der Räder scheint eine Reaktion darauf zu sein, dass insbesondere die Räder der neuen Anbieter enge Gehwege häufig versperren. Wo Lidl Bike und nextbike hohe Summen in Teams investieren, die die Räder reparieren und verteilen sollen, scheinen die neuen Anbieter daran noch zu sparen.

Die neuen Anbieter sind kein Berliner Phänomen, sondern sind schon in vielen Städten weltweit zu Gange. Anbieter Obike beispielsweise hatte im Sommer 2017 auf einen Schlag in München 6000 Räder platziert, und war auch hier auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die Räder der neuen Anbieter wirken simpler und sind häufig ohne Gangschaltung und nur mit Vollgummireifen ausgestattet. Ob die Berliner*innen noch Vertrauen in die neuen Anbieter finden, wird sich wohl erst mit der Zeit zeigen. Vorwürfe, dass das eigentliche Geschäftsmodell der neuen Anbieter die Erstellung von Bewegungsprofilen der Nutzer*innen sei, wurden zumindest vehement zurückgewiesen.

Leihräder des Anbieters Obike

Und so bleibt den Berliner*innen aktuell wohl nichts anderes übrig, als sich an die neuen Anbieter zu gewöhnen. Sollte die Disposition der Räder und somit auch deren Ruf verbessern, könnten sie sich sogar zu einer echten, attraktiven Alternative zu Lidl-Bike und nextbike entwickeln. Wie die Gehwege der Stadt Berlin jedoch die angekündigten Summen an Leihrädern aufnehmen sollen, bleibt ein Rätsel. Die Berliner Verkehrsverwaltung arbeitet aktuell bereits an einem Leitfaden, der den Bezirken mehr Handlungsspielraum gegen das wilde und störende Abstellen von Leihfahrrädern geben soll.

Berlin, eine Stadt mit zu vielen Leihfahrrädern. Ein Szenario, das vor einigen Jahren noch undenkbar schien. Doch warum scheint über Berlin ein Fluch zu liegen, wenn es um funktionierende und funktionale Fahrradverleihsysteme geht? Eine Stadt, die eine verhältnismäßig gute Fahrradinfrastruktur liefert, die flach ist, und somit eigentlich ideale Voraussetzungen für ein Verleihsystem bietet. Zunächst muss der hohe Anteil an Berliner*innen genannt werden, die eigene Fahrräder besitzen. Ganz anders als beispielsweise in London oder Paris, wo es seit Jahren funktionierende Verleihsysteme gibt. Auch dass das „offizielle Verleihsystem Berlins“ nextbike nicht in das Monatsticket eingebunden ist, ärgert viele potenzielle Nutzer*innen. Und zuletzt muss auch der wechselhaften Geschichte der Berliner Verleihsysteme eine Mitverantwortung gegeben werden. Dass die Berliner*innen hier ein wenig das Vertrauen und die Lust auf das Leihrad verloren haben, ist nur verständlich.