Dieser Artikel ist Teil 1 eines Doppel-Artikels zum Thema Elektrofahrräder auf urbanophil. Lange Zeit belächelt, entwickeln sich elektrisch unterstützte Zweiräder derzeit zu einem ernst zu nehmenden Verkehrsmittel. Sie eröffnen große Chancen für eine moderne Mobilitätspolitik, verdeutlichen aber gleichzeitig die Schwierigkeiten und Herausforderungen der aktuellen Verkehrspolitik umso deutlicher. Ein guter Grund, einmal genauer hinzuschauen. Teil 1 des Doppel-Artikels stammt aus den Tasten von Gastautor Wasilis von Rauch, der den ausgesprochen lesenswerten Blog e-Rad Hafen betreibt. Teil 2 “Chinas road to e-bike” ist von unserem urbanophil-China-Experten Nikolas Neubert, der seit 2009 in Shanghai lebt und arbeitet und in seinem Artikel den schon viel länger andauernden Boom von Elektrofahrrädern in China beschreibt. 

Viel Spaß beim Lesen! Wir freuen uns auf Kommentare, Kritik und Anregeungen. Tim Birkholz für urbanophil. 

(E-)Bike und (E-)Auto-Bestand in Deutschland: Elektromobilität boomt...

E-Räder boomen, kaum ein Zweirad-Hersteller oder Medienbericht kommt derzeit noch ohne die Räder mit extra Schwung daher. Das Marktvolumen verkaufter E-Räder steigt seit 2007 jährlich um etwa 50%. Allein im Jahr 2011 wurden laut Zweirad-Industrieverband (ZIV) 310.000 Stück verkauft, schon bald werden in Deutschland mehr als Million E-Räder auf der Straße fahren. Die Entwicklung ist eine große Chance für eine zukünftige moderne Mobilitätspolitik, sie stellt die aktuelle Verkehrspolitik und -planung allerdings auch vor einige Herausforderungen.

E-Auto und E-Rad im Elchtest

Im Jahr 2011 wurden in Deutschland etwas über 2.000 E-Autos zugelassen, das ist nicht einmal ein Hundertstel der verkauften E-Räder. Und von den wenigen fahren die meisten für Testflotten. Trotz der großen Subventionen, des medialen Aufsehens und des enormen Werbe-Budgets kommen E-Autos also kaum in Schwung. Die angepeilte Million E-Autos bis 2020 wirkt weiterhin utopisch. Die Elektromobilität in Deutschland fährt in Wirklichkeit schon heute Fahrrad! Auch in anderen europäischen Ländern wie der Schweiz und Österreich sind Räder mit Elektromotor ein großer Wachstumsmarkt. Und ausgerechnet in den flachen, aber eben besonders fahrradfreundlichen Niederlanden sind sie schon bei einem deutlich höheren Marktanteil von rund 25 Prozent angelangt.

Technische Entwicklungen und hohe Umsätze bedingen den Boom

Wesentliche Voraussetzung für die rapide Entwicklung bei E-Rädern sind die Verbesserungen bei den Akkus, denn die waren lange Zeit das Hauptproblem für die Alltagstauglichkeit. Bleibatterien waren eben auch „bleischwer“ und erreichten kaum 30-50 Kilometer Reichweite. Heute erreichen Lithium-Ionen-Akkus teilweise deutlich mehr und wiegen dabei nur noch wenige Kilogramm.

Gleichzeitig geht technische Entwicklung zügig weiter. Die hohen Verkaufszahlen sorgen dafür, dass sich die Antriebe rapide weiterentwickeln und die Vielfalt an Modellen beständig größer wird – mittlerweile bekommt man neben klassischen City- oder Tourenrädern auch Mountain Bikes, Falträder, Tandems und Lastenräder mit E-Antrieb.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Entwicklung sind die wesentlich höheren Umsatzzahlen, die von der Industrie mit E-Rädern erzielt werden können, denn der durchschnittliche Verkaufspreis für ein E-Rad liegt mit etwa 1500 Euro dreimal so hoch wie der für ein normales Fahrrad. So wird bereits heute ein Viertel des Umsatzes mit E-Rädern gemacht, auch wenn nicht mal jedes zehnte verkaufte Rad ein E-Rad ist.

Mobilität im Wandel, neue Verlagerungspotentiale 

Doch es ist nicht nur die Technik, die der E-Rad Entwicklung zu Pass kommt, es ist auch das sich derzeit insgesamt verändernde Mobilitätsverhalten, u. a. ausgedrückt durch den seit einigen Jahren wachsenden gesellschaftlichen Trend zum Fahrrad. Während das Auto an Status verliert, wird das Zweirad als Alltagsverkehrsmittel zunehmend beliebter. Statt für Stau und Parkplatzsuche entscheiden sich viele für die oft schnellere und gesündere Variante Fahrrad. Die steigenden Spritpreise kombiniert mit einem wachsenden Umwelt- und Klimabewusstsein in breiten Teilen der Bevölkerung tun ihr übriges dazu.

Das E-Rad ergänzt nun die bekannten Vorteile des Fahrrads um eine zusätzliche Portion Geschwindigkeit und nimmt ihm gleichzeitig den „Schweißfaktor“. Mühelos kann man mit durchschnittlich 20km/h durch die Stadt radeln ohne ins Schwitzen zu kommen. Damit erhöht sich die praktikable Reichweite von typischerweise fünf bis acht Kilometern mit einem klassischen Fahrrad auf etwa zehn bis über 15 Kilometer mit dem E-Rad.

Betrachtet man die Arbeitswege in Deutschland wird schnell klar, welches Verlagerungs-Potential damit verbunden ist: 46 Prozent aller Arbeitswege sind kürzer als zehn Kilometer, 74% kürzer als 25 Kilometer (Quellen und weitere Informationen: Statistisches Bundesamt oder e-Rad Hafen).

Für die längeren Wege über 15 Kilometer sind schnelle E-Räder, die bis maximal 45km/h unterstützen eine interessante Möglichkeit – diese gelten allerdings als Leichtkrafträder und sind versicherungspflichtig (die meisten Elektroräder unterstützen bis maximal 25km/h und gelten rechtlich als Fahrrad, mehr dazu auf e-Rad Hafen). Der derzeitige Radanteil an den Arbeitswegen liegt bei acht Prozent – es ist leicht vorstellbar, dass er mit dem E-Rad verdoppelt oder verdreifacht werden kann. Besonders wenn diese Verlagerung vom Auto aufs E-Rad geschieht, sind die Einsparungen beim CO2 enorm (mehr dazu auf e-Rad Hafen). Die ersten empirischen Analysen der letzten beiden Jahre zeigen eine solche Verlagerungstendenz in beträchtlichem Maße.

Die Herausforderung für Politik und Planung liegt nun in der Schaffung von schneller, sicherer und moderner Infrastruktur. Hier besteht schon bei normaler Radverkehrsinfrastruktur ein enormer Nachholbedarf, die weiteren Distanzen von E-Rädern bringen aber eine ganz neue Herausforderung mit sich: Radschnellwege sind auch aufgrund der Entwicklung von E-Rädern eines der spannendsten Themen derzeit. In Deutschland gibt es erste Ideen im Ruhrgebiet und im Großraum Hannover. In den fahrradfreundlichen Niederlanden (Link 1, Link 2) und auch in Kopenhagen sind sie – wenig verwunderlich – bereits umgesetzt.

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Werbevideo für den neuen Radschnellweg in Kopenhagen

Lastenräder sind die besseren Kleinwagen!

Auch für Wege während der Arbeit sind E-Räder in vielen Bereichen hervorragend geeignet – man denke nur an Hausbesuche von Ärztinnen, Versicherungsvertretern, Pizzaservice, häusliche Krankenpflege, kleine Handwerksbetriebe oder an Kurierdienste. In vielen dieser Bereiche ist das E-Rad „der bessere Kleinwagen“ bzw. der neue „Dienstwagen“.

Natürlich sind für einige der genannten Beispiele die Transportkapazitäten eines Standard E-Rads knapp bemessen. Doch es gibt mittlerweile auch viele gute Lastenfahrräder mit elektrischer Unterstützung – eine Sparte die bisher noch sehr wenig Beachtung gefunden hat. Beispielsweise radeln schon heute hunderte Postangestellte (kaum bemerkt) mit E-Antrieben durch Berlin.

Einige E-Lastenfahrräder können sogar mehrere hundert Kilogramm Ladung transportieren und auch das mögliche Volumen der Fracht ist beachtlich. Es gibt sehr unterschiedliche Modelle mit zwei oder mit drei Rädern, von sportlich bis eher gemütlich. Einige Modelle können für sehr intensive Nutzungen bis 20.000 Kilometer im Jahr eingesetzt werden – sie erreichen voll beladen über hundert Kilometern Reichweite. Das ist Pizza-Service Liga, wie joey’s Pizza in einigen Fillialen bestätigt.

Das gobax Cargo Bike, Foto: e-Rad Hafen

Preislich liegen die e-Cargo-Räder zwischen zwei- und viertausend Euro – bezieht man die geringen laufenden Kosten in die Rechnung mit ein, wird deutlich: Nicht nur für Umwelt und Lebensqualität in Städten sind elektrische Lastenfahrräder eine gute Sache – man kann damit auch erhebliche Betriebskosten einsparen. Das Berliner Kurierunternehmen „messenger“ setzt z. B. seit Jahren auf e-Lastenräder und schätzt, dass 80% der Kurierfahrten mit dem Pkw auf die umweltfreundlichen Lastenräder verlagert werden könnte.

Kurzum: Die meisten Arbeitswege und ein erheblicher Teil des städtischen Güterverkehrs können mit (E)-Fahrrädern erledigt werden, das wäre ein Riesenschritt in Richtung zukunftsfähiger Mobilität und höherer städtischer Lebensqualität.

Revolution won’t be on TV – die Verkehrswende fällt nicht vom Himmel!

Aus Sicht der urbanen Entwicklung ist das ein Segen, zuerst weil E-Räder beim Fahren keine Schadstoffe emittieren. Sie verbrauchen zudem sehr wenig Energie und bieten – im Gegensatz zu E-Autos – auch Lösungspotential für zu hohen Flächenverbrauch, mangelnde Verkehrssicherheit, Lärmprobleme und zu hohen Ressourcenverbrauch im Allgemeinen. Alldem zum Trotz wird der mit Milliarden subventionierte Austausch des Antriebs beim Pkw von Politik, Industrie und Medien als vermeintliche Revolution gefeiert, die alles zum Guten wendet.

Doch vielmehr noch als diese Revolution sind E-Autos tatsächlich der Wolf im Schafspelz: Sie bieten keine Lösungen für die drängenden Probleme der aktuellen Verkehrspolitik. Durch Elektroautos wird nicht automatisch weniger Auto gefahren. Mit oder ohne „E“ bleibt das Auto ein Platz fressendes, zu schweres Gefährt, das viel zu viel (Primär-)Energie vergeudet und eine ständige Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. E-Autos können daher nur das Beiwerk einer Verkehrswende sein. Tatsächlich ist eine deutliche Verlagerung weg vom Auto zwingend notwendig und dafür erweitern gerade E-Räder das Potential „normaler“ muskelkraftbetriebener Fahrräder erheblich.

Die Radverkehrspolitik braucht eine wesentlich höhere Priorität: die Niederlande und Kopenhagen machen es seit Jahren vor

Nun könnte man an dieser Stelle einwenden: Der Trend zu Rad und Elektrorad ist bisher weitgehend ohne staatliche Hilfe ausgekommen. Die Menschen fahren also ohnehin Fahrrad, Politik und Planung haben damit am Ende doch nicht viel zu tun. Fakt ist jedoch, häufig wird nicht wegen, sonder trotz der staatlichen Radverkehrspolitik geradelt. Städte wie Kopenhagen oder Amsterdam machen vor, wo auch andere europäische Metropolen stehen könnten, wenn sie Radverkehrsförderung mit der notwendigen Leidenschaft, der fachlichen Qualität und dem finanziellen Einsatz betreiben würden.

Besonders wichtig sind Investitionen in angemessene Infrastruktur. Bereits jetzt sind die Radverkehrsanlagen vieler Städte an ihren Grenzen angelangt, spätestens wenn (E-)Lastenräder in großem Maße dazukommen, muss dem Radverkehr mehr Platz eingeräumt werden. Dafür braucht es Geld und – genauso wichtig – qualifiziertes Personal in den für die Planung und Umsetzung verantwortlichen Behörden.

Ein weiteres Thema – insbesondere in urbanen Ballungsräumen – sind sichere Abstellanlagen. Ein Lastenrad wird niemand in die Wohnung tragen wollen. Ein teures E-Rad lässt man ungern schlecht gesichert z. B. am Bahnhof oder auf der Straße stehen. Hier gilt es z. B. die Wohnungswirtschaft für dieses Thema zu sensibilisieren und auch die flächendeckende Schaffung von sicheren Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen nach niederländischem (und nordrhein-westfälischem Vorbild) ist ein essentieller Baustein einer solchen modernen Mobilitätspolitik.

In Deutschland gibt es mittlerweile erste Ansätze einer modernen Radverkehrspolitik. Der erste Nationale Radverkehrsplan 2002 – 2012 (NRVP), der in diesem Jahr fortgeschrieben werden soll, hat hier wichtige Impulse ausgelöst, z. B. durch die mit Mitteln des NRVP finanzierte Fahrradakademie des DifU (die z. B. qualitativ hochwertige Fortbildungen für Verwaltungsmitarbeiter anbietet).

Insgesamt sind diese Ansätze aber noch viel zu schwach, um wirklich wirksam zu werden. Es fehlt die nötige Dynamik. Verkehrsminister Peter Ramsauer bremst die derzeitigen Entwicklungen sogar durch Stellen- und Mittelkürzungen, wie eine parlamentarische Anfrage der SPD vor Kurzem ergeben hat. Da der politische Wille also immer noch fehlt, muss der öffentliche Druck weiter steigen: Interessensverbände wie ADFC oder VCD und letztlich auch die Radfahrenden selbst müssen ihren Forderungen deutlicher Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen. Substantielle Veränderungen sind noch nie vom Himmel gefallen.

Direkt zu Teil 2 “Chinas road to e-bike”