„Welche Aufteilung von begrenztem öffentlichem Raum ist in innerstädtischen Verkehrssystemen gerecht?“ oder “Weniger Straße = Mehr Leben?”, wie wir im vorherigen Beitrag zu den beeindruckenden Bildern des Künstlers David Yoon gefragt haben, sind entscheidende und wichtige, aber auch sehr konfliktträchtige Fragen für zukünftige Diskussionen über urbane Mobilität, denn Kriterien wie ‘hohe Lebens- und Aufenthaltsqualität’ werden zunehmend wichtig im (inter)nationalen Städte-Konkurrenzkampf um gut ausgebildete Arbeitskräfte und anspruchsvolle Bewohner.

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Städte werden zukünftig deutlichere Antworten auf diese Frage finden müssen als bisher. Manche Städte haben diese Frage in den letzten Jahren zunehmend offensiv so beantwortet, dass Kfz-Stellplätze z.B. durch Stationen der neu eingeführten öffentlichen Fahrradverleihsysteme ersetzt wurden – Paris z.B. im Fall von Velib´, Barcelona für Bicing und nun auch London für sein Ende Juli startendes System. Sind nicht SECHS bis ACHT Fahrradstellplätze eine viel gerechtere Ausnutzung von öffentlichem Raum als EIN Pkw-Stellplatz? In anderen Städten, wie z.B. Hamburg und Stockholm, sind solche Maßnahmen politisch noch höchst umstritten, wie in persönlichen Interviews mit den jeweiligen Radverkehrsbeauftragten der Städte herausgefunden wurde. Berlin ist schon etwas weiter und hat es in den letzten Jahren zunehmend geschafft, den Radverkehr auf die Straße zu holen – auch, indem Kfz-Stellplätze durch Radverkehrsstreifen ersetzt wurden, wie es kürzlich z.B. auch für den weiteren Umbau der Warschauer Straße angekündigt wurde. Hier erfolgte die Abwägung also bereits so, dass ein eigener Fahrradstreifen für hunderte, vielleicht gar tausende FAHRENDE Radfahrer am Tag eine gerechtere (und in jedem Fall sicherere) Form ist, den Straßenraum für verschiedene Ansprüche aufzuteilen, als vielleicht zwanzig oder vierzig am Straßenrand PARKENDE Autos.

Früher Straße, nun Radstation, ein Beispiel aus Barcelona, über: And I Color Too

Ohne Zweifel werden auf Pkw-Besitzer in deutschen Innenstädten in den nächsten Jahren neue oder erweiterte Formen von Steuerungsinstrumenten zukommen. Eine Ausweitung der bislang gängigen Parkraumbewirtschaftung ist in zahlreichen Städten beschlossen oder wird geprüft. So z.B. in Stuttgart oder in einigen Vierteln Berlins wo eine Ausweitung geplant oder zumindest empfohlen ist, beispielsweise für den Boxhagener Kiez (pdf). Öffentlicher Raum wird in Zukunft wesentlich seltener kostenlos als privater Parkplatz zur Verfügung stehen als das noch heute der Fall ist – endlich, kann man da nur sagen und z.B. auf Stockholm schauen, wo dies im gesamten Großraum der Stadt bereits seit mehreren Jahren gängige Praxis ist. In einem in Kürze auf urbanophil in voller Länge erscheinenden Interview, beschreibt der Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), Andreas Knie, die Situation wie folgt:

Durch den Winter hat man ja gut gesehen, wie hoch die Mobilität ist. Alleine in meinem Kiez wird die Hälfte der Fahrzeuge fast nie bewegt, aber es kostet ja auch nichts sie monatelang einfach abzustellen. Man hat dort 4 – 5qm schönste Stadt, vollkommen umsonst, das kann so nicht gehen. Allein mit einer Anwohnerplakette von 40 EUR sähe die Sache schon ganz anders aus und wir hätten eine andere Mobilitätskultur. […] Man darf das aber nicht als Restriktion verkaufen, sondern als Chance. Man muss den Leuten auch erklären, dass andere Dinge möglich sind, so könnte die Anwohnerplakette auch als ÖV-Ticket dienen. Man muss erklären: „Ihr dürft DAS nicht mehr, aber DAS dürft ihr.“ Das muss man in einer zeitgemäßen Form vorstellen. Die Menschen wissen ja, das verbrennungsbetriebene Fahrzeuge nicht mehr zeitgemäß sind. Der Druck wird jetzt stärker.”

Das Auto noch wesentlich deutlicher kritisiert einer der schärfsten Kritiker des MIV in der Verkehrswissenschaft: der österreichische Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher. Nach mehreren z. T. wegweisenden Veröffentlichungen zum Fußgänger- und Radverkehr in den 1980er und 1990er Jahren, sind in den letzten Jahren mehrere Bücher von ihm erschienen, die sich expliziter mit dem “Virus Auto” (sehr lesenswerte Buchinfo) auseinander setzen.

Hermann Knoflacher in einem Gehzeug, Quelle: Wikipedia

Bereits in den 1970er Jahren hatte Knoflacher das sogenannte “Gehzeug” entwickelt, mit dem er auf den enormen Platzbedarf eines PKWs aufmerksam machen wollte und damit die Fehlentwicklungen in der Verkehrsplanung aufzeigte und karikierte. Wie solche Fehlentwicklungen aussehen, zeigen die Bilder von David Yoon aus Los Angeles, eine Stadt, auf die auch Knoflacher in seinem Buch “Virus Auto” verweist: Los Angeles hatte nämlich 1939 das größte Straßenbahn- und S-Bahn-System der Welt. Dann kauften ein KFZ-Hersteller, ein Treibstoff-Konzern und ein Reifenhersteller die privatisierten öffentlichen Verkehrsunternehmen auf und legten sie schrittweise still – eine Entwicklung, die sich in zahlreichen amerikanischen Großstädten abgespielt hat.

Wir möchten uns mit diesem Artikel nicht für die Abschaffung des Autos in (großen) Städten positionieren, sondern die negativen räumlichen Folgen dieser Entwicklung thematisieren und kritisieren – . Und wir sind sehr gespannt, welche Aufteilung von öffentlichem Raum die urbanophil-Leser gerecht finden!