Ein Beitrag von unserer Gastautorin Sonja Broy

Abb. Sonja Broy

Präzise zieht ein älterer Herr einen feuchten Pinsel über den Boden. Im Hintergrund wummern Bässe – vor der historischen Kulisse einer Tempel-Pagode hat sich eine Tanzgruppe zu einer Übungsstunde verabredet, während der Pavillon wenige hundert Meter weiter durch eine Chorgruppe belegt ist. Chinesische Parks bilden Mikrokosmen aus Kultur und Alltag. Und während die Verlagerung von Tanz- oder Gesangsstunden in den öffentlichen Raum selbstverständlich dazugehört und das kunstvolle Malen mit Wasser –  ganze Essays aus Schriftzeichen entstehen auf dem Parkboden – sozusagen  als flüchtiger Vorläufer von Street Art interpretiert werden kann, stehen Parks zugleich im Fokus der chinesischen Stadtplaner.

Ein prädestiniertes Beispiel für gesteuerte Urbanisierung bietet Changzhou, eine stark wachsende Industriestadt in der Provinz Jiangsu, gelegen südlich des Jangtse-Flusses, rund 150 Kilometer nordwestlich von Shanghai. In Changzhous High-Tech Park werden unter anderem intelligente Roboter zur industriellen Produktion und Solarmodule gebaut. Der deutsche Thyssenkrupp-Konzern hat erst im vergangenen Jahr 200 Millionen Euro investiert, um einen der weltweit größten Fertigungsstandorte für Lenksysteme am Standort Changzhou entstehen zu lassen. Nicht nur der Bereich der industriellen Fertigung, auch andere Wirtschaftszweige florieren – so kooperiert das Essener Architekturbüro Koschany + Zimmer mit der China Design Group und unterhält ein gemeinsames Büro im High-Tech Park.

Die Stadt wächst – rund vier Millionen Menschen wohnen derzeit in Changzhou, schon im Jahr 2020 werden 5,7 Millionen Menschen erwartet. Jiang Bingnan ist einer der leitenden städtischen Planer. Der 46-jährige hat Stadtplanung und Architektur im chinesischen Xi´an studiert und hat präzise Vorstellungen zur Steuerung des Wachstum und dem gleichzeitigen Ausbau der Infrastruktur: „Wir möchten möglichst wenige neue Flächen am Stadtrand versiegeln und konzentrieren uns stattdessen darauf, die wenige effiziente Bebauung der Distrikte im Kern der Stadt zu erneuern, ohne dabei direkt alle Gebäude abzureißen. Einige werden renoviert und bleiben erhalten, um die historische Bebauung zu veranschaulichen.“ Ungeordnetes städtisches Wachstum würde zudem den Richtlinien der chinesischen Regierung widersprechen, die eine rote Linie von rund 120 Hektar Millionen Hektar für den Erhalt an landwirtschaftlicher Fläche festgeschrieben hat, die nicht unterschritten werden darf, um die Versorgung des Landes zu sichern – Deutschland verfügt im Vergleich dazu über rund 12 Millionen Hektar Ackerfläche.

In den Prinzipien der Planungsbehörde spiegele sich die Ausrichtung der Stadt mit ihrem Fokus auf intelligente Produktion wider: Das öffentliche Transportsystem befindet sich im Ausbau, Parkplätze innerhalb des Stadtgebiets werden dagegen rückgebaut. „Wir bewerben das Schnellbus-System mit eigener Fahrspur aktiv und vermitteln, dass das Auto in Zukunft stehen bleiben soll“, so Bingnan. Er empfindet Changzhou als äußerst lebenswert. „Junge Menschen zieht es eher ins laute, aktive und kommerzielle Shanghai. Sobald man Kinder hat, wird aber ein gutes Bildungssystem wichtig, eine gute Infrastruktur und ausreichend Sportangebote. Außerdem wird die medizinische und die Altersversorgung immer wichtiger, da sind wir gut aufgestellt.“

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Über Werbung bei CCTV, dem größten Fernsehsender des Landes, wird Changzhou als „City of happiness“ und lebenswerte, grüne Stadt beworben. Und in der Tat – wer aus der Mega-Metropole Shanghai nach Changzhou reist, nimmt als erstes die ruhigere Atmosphäre, eine sauberere Luft – den überwiegend neuen Fertigungsanlagen der Industrie geschuldet –  und für chinesische Verhältnisse erstaunlich viel Grün war. Der zweite Blick fällt auf die Details. Efeu unter den Brücken, bunte Blumenbeete und keine der üblichen, überdimensionierten Werbesäulen und –banner im Stadtraum. Jiang Bingnan lacht und erklärt: „Der Direktor unseres Urban Planning Offices, der übrigens in Deutschland studiert hat, hat schon vor 10 Jahren die Entscheidung getroffen, den Ausverkauf der Stadt zu stoppen. Keine Werbung an den Schnellstraßen, möglichst viele Pflanzen im Stadtraum.“ Um die Sauberkeit zu verbessern, wurde in der Vergangenheit zu mitunter drastischen Mitteln gegriffen. „Das war ein langer Weg. Es gibt Stadtbezirke, in denen beispielsweise keine großen Hunde mehr gehalten werden dürfen, um die Straßen sauber zu halten.“

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An deutschen Standards orientiert sich auch die sonstige Arbeit des 300-köpfigen städtischen Teams, das für Planung und Design des öffentlichen Raums zuständig ist und die Arbeit des Gardening Departments steuert. Als erklärtes Ziel gilt, dass bis zum Jahr 2035 jeder Stadtbewohner innerhalb von 500 Metern Zugang zu einem Park hat, der eine Fläche von 5000 Quadratmetern umfassen soll. Auch Bürgerbeteiligung sei in der chinesischen Planungspraxis kein Fremdwort mehr, wie der Planer erläutert: „Ein Team aus 30 Personen hat zuletzt 17.000 Familien zu Themen wie Sport, Parks und Verkehrsentwicklung befragt und damit 50.000 Personen insgesamt erreicht.“ Früher sei die chinesische Stadtplanung ausschließlich auf das ökonomische Wachstum gemünzt gewesen, heute zähle auch Interdisziplinarität und die Verbesserung der Lebensqualität.

Abb. Sonja Broy

Das neue Planungsparadigma wird landesweit – selbst Kleinstädte verfügen inzwischen über eigene Urban Planning-Museen in exponierter Innenstadt-Lage. In Changzhou wird anhand historischer Bilder die Entwicklung nachgezeichnet, unterstützt von Videos, die Drohnen-Aufnahmen zeigen. Herzstück der Ausstellung bildet ein Modell der Stadt. In einer 380 Quadratmeter großen Halle zeigt es Changzhou im Maßstab 1:10.000, über eine Fernbedienung lassen sich einzelne Stadtquartiere zu Erläuterungszwecken illuminieren. Den Modell-Bau hat die Stadt sich 7 Millionen Euro kosten lassen, 2 Jahre Arbeit stecken dahinter.

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Zurück in den öffentlichen Raum: 75 öffentliche Parks besitzt Changzhou heute schon, gegliedert nach Themen – Historie, Abenteuer, Ökologie, Technologie, Pflanzenvielfalt, etc. Hinweisschilder erläutern das Konzept. Der Park der Roten Pflaume fügt sich räumlich an buddhistischen Tianning-Tempel an, hier wurde ein bestehender Park durch einen neuen Part mit kommerziellen Spiel-Angeboten wie Karussells erweitert, eine typische Vorgehensweise. Über die Miete der Betreiber finanziert die Stadt die Park-Reinigung. Für Einheimische und ihre Darbietungen bleibt dennoch noch Raum –  und der Bummeln durch einen chinesischen Parks damit ein ganz besonderes Erlebnis.

Abb. Sonja Broy

Vielen Dank an unsere Gastautorin Sonja Broy, die Ende 2017 China besuchte und hier von ihren Eindrücken und Erlebnissen berichtete.