Teil 1: Aserbaidschan

Ein Beitrag von Gastautor Michael Wagener 

Hitler,Stalin,Lenin,Putin auf einem Markt in BakuQuelle: Michael Wagener

Hitler, Stalin, Lenin, Putin auf einem Markt in Baku

Der Kölner Dom war das Ziel der weitesten Reise, die meine Oma je gemacht hat. Eine Stunde Fahrtzeit aus einem kleinen Dorf im Sauerland. Ihr Enkel sitzt nun auf einer Holzbank im höchsten Bergdorf Aserbaidschans. Die Stimmung bei Sonnenaufgang lässt mich an Oma denken, während die Bauern Kühe und Schafe auf die Felder treiben. Sabine und Christian, meine Reisepartner, schlafen noch ihren Wodkarausch aus. Nach fünf Stunden Fahrt sind wir in der Dunkelheit aus Baku in Xinaliq angekommen und werden freundlich in der Familie von Rachman aufgenommen. Unser Homestay für eine Nacht. Xinaliq liegt auf 2335 Metern und ist nur durch eine schmale Passstrasse erreichbar.

 Im Licht der Dämmerung blickt man bei der Fahrt in tiefe Schluchten und es wird klar, warum unser Fahrer Asif gerne vor der Dunkelheit sein Ziel erreichen möchte.

Die Bergwelt des Kaukasus, AserbaidschanQuelle: Michael Wagener

Die Bergwelt des Kaukasus, Aserbaidschan

Im schummrigen Licht einer Glühbirne essen wir Lammkeule und trinken russischen Wodka mit Asif und Rachman. Beide Männer sind um die vierzig, auch wenn sie deutlich älter wirken. Rachmans Familie verdient sich etwas dazu, indem sie Touristen das Leben einer Bauernfamilie erfahren lassen. In einem traditionellen Steinhaus blickt man auf die spartanische Einrichtung und teilweise kitschig wirkende Mitbringsel. Ein Holzofen heizt die niedrigen Räume und irgendwie mag man nicht wirklich einschlafen wollen, aus Angst vor einer Kohlenmonoxidvergiftung.

Eigentlich bin ich zufällig in diesem Land am Kaspischen Meer gelandet. Ohne wirklichen Plan lasse ich mich seit Monaten durch ein Sabbatical treiben. Als ich erfuhr, dass ein Freund von mir nach Aserbaidschan fliegen würde, schloss ich mich ohne viel Nachdenken an. Nun sitze ich hier und blicke auf die beeindruckende Landschaft des Kaukasus. Weit in der Ferne kann man den über 4000 Meter hohen Gipfel des Shahdag erahnen. Die imposante Natur lässt die Langeweile, die die Hauptstadt Baku ausgestrahlt hat, vergessen.

Xinaliq, das höchste Bergdorf Europas, AserbaidschanQuelle: Michael Wagener

Xinaliq, das höchste Bergdorf Europas, Aserbaidschan

Die größte Metropole im Kaukasus mit mehr als zwei Millionen Einwohnern ist mein Einstieg in diese Region und Ausgangspunkt für unsere Reise in die Berge. Prachtbauten und moderne Architektur, finanziert durch Erdölmilliarden, begrüßen den Einreisenden. Die 2012 fertig gestellten Flame Towers ragen imposant über Baku und nachts sind die drei modernen Türme in wechselnden Farben erleuchtet. Symbolisch für das selbsternannte Land des Feuers.

Sabine fallen in Baku aber nur die Mauern auf. Teilweise kilometerlang ziehen sie sich um private Gelände. Als Schutz, aber auch als Prestigeobjekt. Das Leben vor den Mauern bleibt beschaulich. Christian findet die passende Umschreibung für Baku: Stadt der Ereignislosigkeit. Beim gemütlichen Spaziergang kann man die Altstadt, die seit 2000 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, durchwandern, aber man bekommt nur einen Hauch des Trubels einer Millionenstadt mit.

Moschee vor den Flame Towers, Baku, AserbaidschanQuelle: Michael Wagener

Moschee vor den Flame Towers, Baku, Aserbaidschan

Wer aber die Lebendigkeit des Mittleren Osten sucht, wird in Baku enttäuscht und auch die altertümlichen Moscheen und Festungsbauten wirken spartanisch. Im Palast der Shirvanshahs bekommt man einen komprimierten Überblick über Aserbaidschans Geschichte, während man sich an vielen Teppichläden vorbei den Weg zum Maidan-Turm sucht. Bakus historisches Wahrzeichen gibt in 29 Metern Höhe einen tollen Blick auf das Kaspische Meer preis.
Breite Straßen säumen die Promenade zum Meer, das mit seinen Ölplattformen im Oktober nicht gerade zum Schwimmen einlädt. Dennoch zeigt sich ein Charme Bakus in Neubauten wie dem Teppichmuseum in Form eines solchen. Mit dieser aufgesetzten Architektur wirkt Baku skurril witzig.

Ein Blick in ein Fenster offenbart eine Schachschule für Kinder. Schach ist Nationalsportart. Spontan lasse ich mich von einem zehn Jahre alten Jungen herausfordern und bin nach wenigen Zügen matt. Zeit, Baku zu verlassen. Zeit für die Berge.

Einige Tage später stehe ich frühmorgens an einem Bahnsteig im Nirgendwo. Eine ungemütliche Zugfahrt in einem alten Schlafwagen aus Sowjetzeit liegt hinter mir und ein alter Lada als Taxi steht vor mir. Unausgeschlafen und mit verkorkstem Rücken folgt eine Fahrt nach Sheki. Die Stadt liegt an der alten Route der Seidenstraße und ist Ausgangspunkt für Wanderungen in die Berge. Die Saison neigt sich jedoch dem Ende und für Sabine, Christian und mich ist Sheki nur die Zwischenstation auf dem Weg nach Georgien. Gespräche über das Reisen finden statt. Christian hat schon 72 Länder gesehen und Sabine ist schon von klein auf in der Welt unterwegs.

Zeitgeschichte zu erleben ist für Sabine ein Grund zu reisen. Sie will sich ihr eigenes Bild machen von den Orten, deren Namen in der Tagesschau auftauchen. Existieren scheinen beide aber gerade im Internet. „Wie ist das WiFi- Passwort?“ „Verdammt, mein Akku ist leer!“ Bei mir ist das Reisegepäck auch dominiert von Akkuladegeräten, SD-Karten, Festplatten und den damit verbundenem Kabelsalat. Die Digitalisierung fordert nun auch ein logistisches Umdenken beim Packen.

Raus aus der digitalen Blase verzichten wir auf einen Besuch in einer Karawanserei, die der Lonely Planet so hoch lobt und schlendern durch die schmalen Gassen Shekis. Begegnungen mit Menschen bleiben eindrucksvoller als Facebook und Co. Und in Sheki begegnen wir einer Freundlichkeit und Offenheit der Menschen, die in Baku nicht so offensichtlich war. Auf einem Basar wird gegrüßt, gelacht und zum Tee eingeladen.

Fleischer auf dem Markt in ShekiQuelle: Michael Wagener

Fleischer auf dem Markt in Sheki

„Eins, zwei, drei, der Knabe…”, präsentiert eine alte Marktfrau ihrer Deutschkenntnisse aus der Schulzeit und per Point it-Buch und mit ein paar Brocken Russisch unterhalten Sabine und ich uns mit einigen Standbesitzern…

 

[Teil 2 des Reiseberichtes erscheint am 18.2.2018]

Michael Wagener ist Dozent, Lehrer, Fotograf und am liebsten unterwegs. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit Fotografie. Die Basis legte sein Kunststudium an der Universität Siegen und durch eine Assistenzzeit bei Simon Puschmann in Hamburg vertiefte er seine Kenntnisse in der kommerziellen Fotografie. Mehr erfährt man über ihn auf seiner Webseite.