Teil 2: Georgien

Ein Beitrag von Gastautor Michael Wagener 

Hochhaus mit Brückenverbindung, Tiblisi, Georgien

Hochhaus mit Brückenverbindung, Tiblisi, Georgien

Am nächsten Tag geht’s zur georgischen Grenze. Während unser muslimischer Fahrer eine Pause einlegt und schnell in eine Moschee zum Gebet läuft, nutzen Christian und ich die Pause und spielen Fußball mit einem Haufen aserbaidschanischer Jungs. Völkerverständigung durch Sport. Nach dem Passieren der Grenze bin ich fasziniert davon, wie sich unser georgischer Fahrer bei jedem Kloster auf dem Weg nach Tiflis dreimal bekreuzigt, während er mit 100 Sachen und telefonierend über marode Landstraßen braust.

Im Kaukasus muss man sich im Grunde keine Gedanken machen, wie man von A nach B kommt. Überall finden sich Fahrer privater Taxen oder Haltestellen der Mashrutkas. Es stellt sich nur die Frage, welchem Fahrer und welchem Gefährt man sein Leben anvertraut. Aber vielleicht sollte man auch ein Auge zudrücken, wenn man sich für den Preis von 30 Euro im Taxi 200 Kilometer weit fahren lässt. Handy am Steuer oder gar Geschwindigkeitsbeschränkungen scheinen in diesem Teil der Welt keinen zu interessieren.

Wintereinbruch im Oktober an der Gergetier DreifaltigkeitskircheQuelle: Michael Wagener

Wintereinbruch im Oktober an der Gergetier Dreifaltigkeitskirche

Aber gerade wegen dieser Gegensätzlichkeiten und dem scheinbaren Chaos, das dann doch irgendwie organisiert zu sein scheint, wirkt der Kaukasus reizvoll auf mich. Angekommen in Tiflis strahlt die Stadt einen maroden Teint aus. Jeder deutsche Handwerker würde verzweifeln beim Anblick der provisorischen Reparaturen der alten Bausubstanz, die größtenteils aus Holz ist. Starke Klimaschwankungen und heftiger Regen setzt den Gebäuden kontinuierlich zu. Überrascht wir man dann von den zahlreichen Mietapartments für Touristen, die oft nach europäischen Standards schick eingerichtet sind. Der Tourismus ist hier eine lukrative Einnahmequelle für einige Bewohner von Tiflis.

Hinterhof in der Altstadt Tiblisis, GeorgienQuelle: Michael Wagener

Hinterhof in der Altstadt Tiblisis, Georgien

Die mit 70 Prozent Arbeitslosigkeit geschlagene Bevölkerung bringt dennoch bei weitem nicht die finanzielle Kraft für aufwendige Sanierungen auf. Ambitionierte Bauprojekte im Zentrum der Stadt wie eine architektonisch imposante Konzerthalle im zentralen Rike Park liegen brach, genauso wie die Relikte der sowjetischen Zeit.

Mit Brutal Tours unternehmen Sabine, Christian und ich eine Walking Tour durch Tiflis. Maurice, ein Holländer, hat sich diese Tourismusidee mit seiner Freundin ausgedacht und führt die sowjetischen Architekturrelikte der Altstadt und einiger umliegender Stadtteile vor, zum Beispiel die klobigen Betonbauten, die dem Beton Brut am Rande von Tiflis alle Ehre machen und zudem im wahrsten Sinne brutal in der Stadt stehen. Eine fragwürdige Ästhetik, die ganz Georgien durchzieht. Die Bauten sind getragen von der sozialistischen Idee, bezahlbaren Wohnraum für jedermann zu schaffen.

Ein Highlight Tiflis’ bildet, mit Blick auf die ehemalige Sowjetische Zeit, ein Besuch des J. Stalin’s Underground Printing House Museum. Geleitet wird das zusehens verfallene Museum vom stellvertretenden Vorsitzenden der kommunistischen Partei Georgiens. Mit Zuschüssen vom Staat kann der alternde Vorsitzende nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr rechnen. Aber dennoch führt er voll Stolz durch die Zeugnisse von Josef Stalins Werdegang und präsentiert die in einem geheimen unterirdischen Raum aufbewahrte Originalpresse. Hier vervielfältigte der junge Stalin Flyer mit kommunistischen Ideen. Die Druckerpresse selbst überrascht mit Made in Germany, Augsburg 1895.

Stalins Druckpresse in TiblsiQuelle: Michael Wagener

Stalins Druckpresse in Tiblsi

Angeregt durch Maurice fahre ich nach Tschiatura, während Sabine und Christian sich auf nach Armenien machen. Davide, mein Fahrer nach Tschiatura, kann nur georgisch und russisch. Ich kann beides nicht. Doch er kapiert, dass ich die sowjetischen Relikte spannend finde, als sich ständig meine Kamera darauf richtet. Er blüht auf. Mit russischen Chansons im Ohr zeigt er mir verlassen Fabrikhallen und Kriegsdenkmäler aus der Sowjetzeit. Letztlich lande ich in Metallkäfigen, die in Tschiatura zum öffentlichen Nahverkehr gehören. „Ein Wurm oder keiner“ bedeutet Tschiatura wörtlich übersetzt und verweist auf die Serpentinen der Straßen, die die von Bergen umgebene Stadt durchziehen. Mehr als 20 Seilbahnen, die gefühlt schon hunderte von Jahren alt sind, verbinden die auf unterschiedlichen Höhen liegenden unterschiedliche Stadtviertel und sind faszinierende technische Relikte aus der Sowjetepoche. In luftiger Höhe blickt man auf das ehemals größte Manganerzbergbauzentrum der Welt.

Schon seit über 50 Jahren in Betrieb-Die Seilbahnen in TchiaturaQuelle: Michael Wagener

Schon seit über 50 Jahren in Betrieb-Die Seilbahnen in Tchiatura

Zurück in Tiflis treffe ich vor dem Fabrica Hostel, dem zur Zeit angesagtesten Hostel für Backpacker in Georgien und für scheinbar jeden Hipster in Tiflis, auf Daniele. Der Sozialarbeiter für den Orden der Karmeliter lädt mich ein, die erste Tageseinrichtung für Behinderte in Tiflis zu besuchen. Dort begegne ich Martin Arabyan. Der junge Mann leidet seit seiner Kindheit an einer Muskelerkrankung und ist an einen Rollstuhl gefesselt. Obwohl Ärzte in Moskau seiner Mutter kurz nach Martins Geburt keine guten Prognosen voraussagten, beherrscht der mittlerweile Dreißigjährige Englisch, Russisch und Französisch fließend und kann sich nur über den Verkehr in Georgien beschweren, der ihm es so schwer macht, sich im Rollstuhl durch die Welt zu bewegen.

Innenhof des Fabrika-Hostels, TiblisiQuelle: Michael Wagener

Innenhof des Fabrika-Hostels, Tiblisi

Martin und seine MutterQuelle: Michael Wagener

Martin und seine Mutter

Tiblisi von obenQuelle: Michael Wagener

Tiblisi von oben

[Teil 3 des Reiseberichtes erscheint am 25.2.2018]

Michael Wagener ist Dozent, Lehrer, Fotograf und am liebsten unterwegs. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit Fotografie. Die Basis legte sein Kunststudium an der Universität Siegen und durch eine Assistenzzeit bei Simon Puschmann in Hamburg vertiefte er seine Kenntnisse in der kommerziellen Fotografie. Mehr erfährt man über ihn auf seiner Webseite.