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Über ein Jahr nach der Konferenz „Stadt_Kirche“ zeigt sich eine gewisse Dynamik im Umgang mit (kirchlicher) Religiosität in der Stadt. Neben weiteren Tagungen, die in diesem Themenfeld durchgeführt wurden, erscheinen auch aus verschiedenen Richtungen Publikationen, die sich damit beschäftigten, inwiefern Religion in der Stadt und vor allem inwiefern Kirche in der Stadt neu gedacht werden muss. Wir möchten vor diesem Hintergrund einige Bücher hierzu in einem Blitzlicht zusammenzufassen – natürlich nicht als abschließende Übersicht, aber vielleicht als Impuls, um weitere von unseren Lesern genannt zu bekommen. Dabei kann in diesem Blitzlicht ganz allgemein ein baulich-historischer Zugang von einem theologisch-sozialwissenschaftlichen getrennt werden. Während im ersten Strang die Wertigkeit von Betonkirchen (Voigt/Bernau: Beton und Glaube. Kirchen in der Nachkriegsmoderne in Berlin, Berlin 2014) und die aktuelle Umnutzungsdebatte (StadtbaukulturNRW [Hg.]: Kirchen geben Raum. Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden, Gelsenkirchen 2014) sowie ästhetische Erwägungen zu Moscheebauten (Kleine: Neue Moscheen. Entwürfe und Visionen, Berlin 2014) eine Rolle spielen, geht eine Publikation im zweiten Strang der Frage nach, wie Mission in der Stadt kirchlicherseits neu gedacht werden kann (Hermann/Schönemann: Evangelium.Stadt.Kirche, Regensburg 2014).

Vor diesem grundsätzlichen Analyseraster sind dann auch die verschiedenen Werke zu bewerten und zeigen damit auf, welche unterschiedlichen Blickwinkel auf das komplexe Thema eingenommen werden.

 

Voigt/Bernau: Beton und Glaube. Kirchen in der Nachkriegsmoderne in Berlin, Berlin 2014
Der Fotograf Patrick Voigt und der Architekturkritiker Nikolaus Bernau finden sich in dieser Publikation zusammen, um sich auf eine „Entdeckungsreise“ nach West-Berlin zu begeben und eine „aktuelle Übersicht schützenswerter Kirchen der Nachkriegsmoderne“ zu erstellen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und wird vor allem durch großformatige Fotografien und kurze Begleittexten geprägt, die den zeitlichen Bogen spannen von Anfang der 1950er Jahre (St. Karl Borromäus von Alfons Leitl, Berlin-Grunewald) bis zum Ende der 1970er Jahre (St. Dominicus von Hans Schädel und Hermann Jünemann, Berlin-Neukölln/Gropiusstadt). Den 27 Kirchen ist eine stadthistorische Einordnung vorangestellt, die durch ihre Kürze aber nur Grundlinien skizzieren kann. Der Fokus wird klar auf die fotografische Darstellung der Kirchen gelegt, der neben der Nennung von Architekt, Baujahr, Konfession und Adresse noch der Grundriss beigefügt wird. Dem an den Diskussionen zu Bedeutung und Nutzungsveränderungen interessierten Leser wird dadurch aber leider zu wenig geboten, auch wenn ein Werkbericht zur Umwidmung des Gemeindezentrums St. Agnes dieses Thema kurz anreißt. Die Publikation ist dadurch eher ein fotografisches Gedächtnis einer Ist-Situation aus dem Jahr 2014 und es wäre spannend, in 10-20 Jahren darauf zurückzublicken, was sich verändert hat.

Voigt, Patrick / Bernau, Nikolaus
Beton und Glaube. Kirchen in der Nachkriegsmoderne in Berlin
ISBN: 978-3940874863, archimappublishers, 152 S.
Berlin, 2014, Preis: 29,90 Euro
Details auf der Website des Verlags

 

Landesinitiative StadtbaukulturNRW 2020 [Hg.]: Kirchen geben Raum. Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden, Gelsenkirchen 2014
Passend zur voran genannten Publikation, widmet sich das daran anschließend Werk gleich direkt denjenigen Kirchen, die bereits in einer Um- oder Nachnutzung befinden. Der Architekt Jörg Beste blickt mit Unterstützung der StadtbaukulturNRW auf die besondere Schwierigkeit, die sich bei der Nutzungsänderung von Kirchbauten ergeben. Denn, so schreibt es Martin Struck (Diözesanbaumeister des Erzbistums Köln) in seinem Vorwort, es bereitet „Unbehagen und Unruhe, sogar bei den ‚religiös Unmusikalischen‘“, wenn „Zeichen und Orte [verschwinden], die bislang für ‚das Andere‘, das Offenhalten der Frage nach Woher und Wohin des Menschen stehen“. Die Publikation soll aber nicht auf einer theologischen Ebene verharren, sondern konkrete Hinweise geben, welche Potenziale bestehen, sowohl baulich als auch für den kircheninternen Prozess. Dabei wird auf ein Modell- und Forschungsvorhaben des nordrhein-westfälischen Bauministeriums (2007-2012) aufgebaut, das bereits 2010 in der Zwischenpublikation „Modellvorhaben Kirchenumnutzungen – Ideen Konzepte Verfahren“ eine erste Bilanz gezogen hat und das ebenfalls von Jörg Beste begleitet wurde. In der nun vorliegenden Publikation wird darauf noch einmal Bezug genommen und die Situation in NRW nach heutigem Stand reflektiert, um dann in einem zweiten Kapitel 16 Projektbeispiele im Detail vorzustellen. Diese sind als sehr vorbildlich anzusehen, so werden neben grundlegenden Daten zu Architektur, Nutzung und Adresse auch Hinweise zum Nutzungskonzept und den Besonderheiten angegeben. Das Spektrum reicht dabei von Kirchen auf dem Land bis hin zu Kirchen in städtischen Ballungsgebieten und schließt verschiedene Nutzungskonzepte mit ein. Es bleibt aber nicht bei einer bloßen Beschreibung des Sachstands, im dritten Kapitel wird ausführliche auf die Bausteine „Bauliche und soziale Situation“, „Akteure und Interessen“, „Methoden und Instrumente“, „Nutzung und Akzeptanz“ und „Umsetzung“ eingegangen, die am Ende mit Verfahrenshinweisen, Kontaktadressen und einer umfangreichen Literaturauswahl abgerundet werden. Die Publikation wird dadurch zu einem Grundlagenwerk für Menschen und Gemeinden, die vor einer Umnutzungssituation stehen sowie auch für generell am Thema Interessierte – auch über die Grenzen von NRW hinaus. Besonders erfreulich ist der Umstand, dass dieses Werk kostenfrei bei der StadtbaukulturNRW bestellt werden kann.

Landesinitiative StadtBauKultur NRW 2020 [Hg.]
Kirchen geben Raum. Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden
ISBN: 978-3-939745-11-2, StadtBauKultur NRW, 84 S.
Gelsenkirchen, 2014, Preis: kostenfrei
Details auf der Website der StadtbaukulturNRW

 

Kleine: Neue Moscheen. Entwürfe und Visionen, Berlin 2014
Einen ganzen anderen Zugang zu religiösen Bauwerken bringt der Jovis Verlag in die Diskussion ein: Studenten der Innenarchitektur der Hochschule RheinMain haben sich gemeinsam mit Prof. Dr. Holger Kleine vom Fachgebiet Öffentliche Innenräume im Wintersemester 2010/2011 der Gestaltungsherausforderung Moscheebau gewidmet und die Publikation „Neue Moscheen. Entwürfe und Visionen“ dokumentiert Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Arbeitsprozess. Vor diesem Hintergrund wird dann auch den Entwürfen der meiste Platz zugestanden, die mit einem kurzen Begleittext vor allem durch ihre Fotografien, Visualisierungen und Modelle wirken. 14 Projekte zeigen unterschiedliche Herangehensweise an das Thema und sind nicht auf einen bestimmten Ort oder einen bestimmte Bauherren zugeschnitten, sondern sollen „idealtypisch sein“, indem sie auf dem „Nachdenken über den Islam in Westeuropa und auf der schöpferischen Auseinandersetzung mit den existierenden Moscheetypen“ beruhen. Dies wird unter anderem durch eine Einleitung über 15 Fragen geleistet, die unter anderem erörtern welche Elemente eine Moschee zu einer Moschee machen und ob Nicht-/Un-/Andersgläubige überhaupt eine Moschee entwerfen können. Auch wenn alle Texte sehr kurz ausfallen, geben sie einen guten ersten Einblick in die komplexe Herausforderung und laden zum eigenständigen Vertiefen ein. Ein großer Pluspunkt ist das Fazit am Ende, da auf eine eigene Reflektion der Entwürfe verzichtet wird, sondern Kommentare von Besuchern der abschließenden Ausstellung wiedergegeben werden. Von zufälligen Passanten bis zu Fachbesuchern ergeben sich in einem ehemaligen Waschsalon in der Wellritzer Straße in Wiesbaden spannende Reaktionen, die das Nachdenken über die Erfordernisse eines „neuen Moscheebaus“ weiter befeuern.

Kleine, Holger
Neue Moscheen. Entwürfe und Visionen
ISBN 978-3-86859-346-4, Jovis, 128 S.
Berlin, 2014, Preis: 19,80 Euro
Details auf der Website des Verlags

 

Hermann/Schönemann: Evangelium.Stadt.Kirche, Regensburg 2014
Nachdem sich die voran gegangenen Publikationen dem Thema Kirche in der Stadt eher baulich genähert haben, ist uns auf der Frankfurter Buchmesse noch ein anderer Zugang in die Hände gefallen, der das Thema noch einmal von einer anderen Seite aufgreift: Mit Markus-Liborius Herman und Hubertus Schönemann widmen sich zwei Mitarbeiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarisches Pastoral (KAMP) der Deutschen Bischofskonferenz als Herausgeber dem Thema Mission in der Stadt, das u.a. bei der Publikation zu Global Prayers schon einmal auf globalem Maßstab näher betrachtet wurde. Gleich zu Beginn wird die enge Verzahnung mit pastoraltheologischen Diskussionen deutlich, da bereits in der Einleitung auf die letzte Enzyklika von Papst Franziskus Bezug genommen wird, in der er die „Stadt als vorzüglichen Ort für die neue Evangelisierung“ bezeichnet. Damit ist der Blickwinkel deutlich unterschiedlich zu anderen Publikationen im Themenbereich Kirche und Stadt, macht ihn aber umso spannender, finden sich hier doch einmal Theologen zusammen, um über die Stadt und deren Relevanz im kirchlichen Leben zu schreiben. Aufhänger aller Beiträge ist dabei der Begriff der Mission, der nicht so abschreckend verstanden werden muss, wie es beim ersten Lesen scheint. Mission, das wird im ersten Beitrag von Stefan Knobloch deutlich, ist eher die Idee, den Menschen in „ihrer sozialen Wirklichkeit zu begegnen“ und „dialogbereit zu sein“, also neu über das Wesen von Kirche und Gemeinde nachzudenken. Dies greifen die anderen Beiträge auf und stellen u.a. anhand von Volksmission, Missionale und Stadtmission Traditionslinien und Brüche kirchlichen Handelns in der Stadt dar – vor allem mit Blick auf Deutschland und Österreich. Spannend wird es für stadtinteressierte Leser vor allem am Ende, wenn aus Sicht der Pastoraltheologie von Thomas Söding reflektiert wird, welche Implikationen aus den aktuellen Entwicklungen erwachsen und wie „Öffnung“ dabei ein zentrales Motiv werden könnte. Im Ergebnis also ein besonderes Buch für diejenigen, die sich von theologischer Wortwahl nicht abschrecken lassen und einen neuen Zugang zum Themenfeld „Stadt“ suchen.

Hermann, Markus-Liborius / Schönemann, Hubertus [Hg.]
Evangelium. Stadt. Kirche. Stadt- und Gemeindemission im säkularem Umfeld
ISBN 978-3-7917-2624-3, Verlag Friedrich Pustet, 176 S.
Regensburg, 2014, Preis: 19,95 Euro
Details auf der Website des Verlags

 

Weiterführende Anregungen und Ideen?
Schon bei diesem kurzen Überblick zeigt sich die Viefalt des Themenbereichs und es ist bereits jetzt abzusehen, dass sich diese durch weitere Publikationen erhöhen wird. Fürs Erste verweisen wir unter anderem auch auf die Homepage des Programms “Kirche findet Stadt“, auf die regelmäßig Hinweise auf neue Publikationen und Tagungen eingestellt werden. Gerne posten wir auch in Abständen weitere Infos zum Themenbereich und freuen uns auf Anregungen!