Seit 1971 werden am Verkehrswesenseminar der TU Berlin Texte und Berichte verfasst. Sei es als Ergebnis von Projekten oder als erste wissenschaftliche Arbeit von Studierenden. Nun sind, man könnte sagen endlich, einige Arbeiten veröffentlicht worden. Endlich, da bisher auch herausragende Arbeiten oftmals sang- und klanglos in den Schubladen versanken und nach fünf tristen Jahren, so will es der Datenschutz, vernichtet wurden. Das soll sich nun möglichst dauerhaft ändern, denn mit der neu gegründeten Schriftenreihe sollen herausragende und/oder interessante Arbeiten fortlaufend öffentlich zugänglich gemacht werden. Dabei geht es aber nicht ausschließlich um das Publizieren, vielmehr ist die Reihe darüber hinaus ein großes Lehr- und Lernprojekt des Verkehrswesenseminars: Für die Autorinnen und Autoren, um mit ihren Texten vertiefter umzugehen, für die Herausgeber, um zu lernen, Studierende intensiver zu betreuen, Texte zu redigieren und ein Buch zusammen zu stellen, das einem Thema folgt.

Abb.: Cover der Publikation, Gestaltung Fine Heininger

Abb.: Ausschnitt aus dem Cover der Publikation, Gestaltung Fine Heininger

Die Schriftenreihe ist, der den Herausgebern gemeinsamen Leidenschaft für Musik geschuldet, wie ein Schallplattenlabel gedacht, was es ermöglicht sowohl ›Alben‹ als auch ›Singles‹ und ›Compilations‹ veröffentlichen zu können.

In den ›Compilations‹ sollen mehrere Arbeiten, vornehmlich aus unserer Lehrveranstaltung »Einführung in das Verkehrswesen« zusammengestellt werden, die keinen direkten Themenzusammenhang haben; in der Reihe der ›Alben‹ finden Arbeiten zu einem übergreifenden Thema ihren Platz. In der Reihe der Singles wiederum sollen Arbeiten veröffentlicht werden, die alleine in der Lage sind einen eigenen Band zu füllen. Nach Vorstellung der Herausgeber, können dies Abschlussarbeiten von Studierenden oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verkehrswesenseminars sein. Jedes Format wird durch ein eigenständiges Layout von der Grafik-Designerin Fine Heininger kenntlich gemacht, die auch den ersten Band in einem für technische und ingenieurswissenschaftliche Publikationen außergewöhnlichen Design gestaltet hat.

In der ersten Ausgabe liegen nun Arbeiten zum Verkehrsmittel Fahrrad vor. Die einzelnen Texte beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten des innerstädtischen Radverkehrs – ein Thema, das im Zusammenhang mit der Verknappung fossiler Energieträger und einem steigenden Mobilitätsbedürfnis zusehends relevanter wird. Dabei werden sowohl technische und planerische als auch sicherheitsrelevante und kulturelle Themen angesprochen, die durch Bachelor-Studierende des Einführungsfaches intensiv erarbeitet wurden. Als Ergänzung dazu sind in dieser Ausgabe auch erste Ergebnisse eingeflossen, die im Rahmen einer Dissertation, einer Bachelor-Arbeit und einer Projektveranstaltung im Masterstudiengang gesammelt wurden:

Die Steigerung des Radverkehrsanteils am Modal Split ist ein erklärtes Ziel vieler Kommunen. Was vor allem größere Städte, wie Kopenhagen oder Amsterdam, vormachen, ist aber nicht direkt auf andere Kommunen übertragbar. Jing Hui Chen untersucht – in Anlehnung an seine Bachelorarbeit – in seinem Text die Erfolgsfaktoren der Radverkehrsförderung im In- und Ausland. Aus den Ergebnissen bildet er Bausteine für eine erfolgreiche Förderung des Radverkehrs, die offen genug sind, um auf verschiedene Stadtgrößen skaliert werden zu können.

In der Arbeit von Rita Kuhnert und Lena Lebahn steht der Komfort des zügigen und unterbrechungsfreien Fahrradfahrens auf einer innerstädtischen Magistrale – der Straße des 17. Juni – im Vordergrund. Anhand eines Vergleichs mit realisierten Beispielen in Kopenhagen und Amsterdam wird eine Grüne Welle für Berlin diskutiert. Die beiden Autorinnen arbeiten insbesondere die Vorteile für die Gruppe der Radfahrenden heraus, die – was außergewöhnlich ist – nicht zu Lasten anderer Gruppen im Verkehrsgeschehen gehen. Wenn eine präzise Analyse der Verkehrsdaten und eine behutsame Berechnung stattfinden – so die These – können alle Verkehrsteilnehmenden davon profitieren.

Die Arbeit von Lars Klippert, Mattis Liebner und Carla Dorothea Pilz widmet sich der Optimierung der Berliner Fahrradverleihsysteme. Hierfür wurden Vergleichskriterien ermittelt und diese auf zwei gängige Verleihsysteme in Berlin sowie drei im europäischen Ausland angewendet. Kernstück der Arbeit ist eine Vergleichstabelle, die alle Kriterien auf einen Blick abbildet und auf diese Weise Potentiale aller verglichenen Systeme schnell identifizierbar macht.

Obwohl Radfahrende für den lokalen Einzelhandel eine wichtige und dauerhaft frequentierende Kundengruppe darstellen, werden die Bedürfnisse dieser nicht in den Fokus des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur um innerstädtische Geschäfte und Arkaden gestellt. Valentin Jahn und Martin Sauer zeigen anhand mehrerer Beispiele in Berlin, wie die verpflichtende Bauordnung vor allem im Bezug auf vorzusehende Abstellanlagen von den Betreibern ausgelegt wird und wie dringlich diese für die Rad fahrende Kundschaft und ein harmonisches Stadtbild in und um Geschäftsstraßen wären.

Ist es erstrebenswert bei Problemen in der eigenen Stadt so- genannten Good- oder Best-Practice-Beispielen zu folgen, und was bedeutet dies in letzter Konsequenz? Der Aufsatz »Copenhagenize Berlin?« begegnet diesen und weiteren daraus resultierenden Fragen sehr kritisch. Katja Kürbis untersucht akribisch die guten Beispiele aus Kopenhagen auf Grundlage von eigendefinierten Kriterien des Komforts für Radfahrende und bietet einen anwendungsbezogenen Vergleich für die Stadt Berlin an. Verblüffend ist ihr Ergebnis, klar und brisant die Aussage in Richtung der Berliner Fahrradpolitik.

Jörg Leben zeigt in Bezug zu seiner Dissertation anhand einer umfassenden Literaturrecherche, dass Radfahrende zwar auf der einen Seite einen großen Beitrag zur klimagerechten Stadt leisten, deren Bedürfnisse an die Infrastruktur bislang nicht ermittelt wurden. Radfahrende werden meist als Rowdies oder Störfaktoren im Verkehrsfluss wahrgenommen, ungeachtet der Tatsache, dass sie am meisten unter der Motorisierung leiden. Mit wenig Platz und in ständiger Unfallgefahr bewegen sie sich durch die Städte und da wo es notwendig ist, legen sie die Regeln bisweilen gezwungenermaßen nach ihren Bedürfnissen aus. Um dieses nicht zu etablieren, sollen die Bedürfnisse der Radfahrenden ermittelt werden, um die Infrastruktur sowie die Regelung des Radverkehrs gegebenenfalls radverkehrsfreundlich anpassen zu können.

Anonymität und Regelkonformität stehen in einem direkten Zusammenhang, so die Erkenntnis von Marc Thomsen, der sich in seiner Arbeit den Aspekten der Sicherheit und Ahndung von Verstößen im Radverkehr über diesen Zugang nähert. Er sieht große Probleme auf alle Verkehrsteilnehmenden zukommen, sollte der Radverkehrsanteil am Modal Split weiter erhöht werden, ohne einer gleichzeitigen Beschäftigung mit den parallel ansteigenden Verstößen gegen die Regelungen der Straßenverkehrsordnung.

Häufig wird von dem Begriff Fahrradkultur gesprochen, wobei es unklar ist, ob es sich hierbei um ein geschicktes Marketing für Fahrradprodukte handelt oder, ob dieser Kulturbegriff darüber hinaus auch einer systematischen Kulturanalyse standhält. Peter Engels und Tim Stolle untersuchen dieses Phänomen anhand gängiger und eigenermittelter Kriterien aus den Bereichen der anerkannten Mobilitäts- und Autokultur und wenden diese auf den Begriff der Fahrradkultur an.

Der Text dieser Rezension ist von Karsten Michael Drohsel, Jörg Leben und Vanessa Lösche in schreibender Kooperation entstanden und wurde abschließend von Karsten Michael Drohsel überarbeitet.

———————————————————————————-

“Aspekte des städtischen Radverkehrs”

HerausgeberIn: Karsten Michael Drohsel, Arvid Krenz, Jörg Leben und Vanessa Lösche

Autorinnen und Autoren: Jing Hui Chen, Karsten Michael Drohsel, Peter Engels, Valentin Jahn, Lars Klippert, Katja Kürbis, Rita Kunert, Lena Lebahn, Jörg Leben, Mattis Liebner, Vanessa Lösche, Carla Dorothea Pilz, Martin Sauer, Tim Stolle, Marc Thomsen

Erschienen im Universitätsverlag der TU Berlin (März 2014)

Broschur, 166 Seiten mit Abbildungen

ISBN 978-3-7983-2511-1, Druck on demand, Preis bitte beim Verlag erfragen

Kostenloser Download unter diesem Downloadlink

Webseite des Verlags

 

Über das Verkehrswesenseminar:

Das Verkehrswesenseminar ist eine Einrichtung des Instituts für Land- und Seeverkehr. Es wurde gegründet, um interdisziplinäre Aspekte des Verkehrswesens in die Lehre aufzunehmen. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf ein zukunftsorientiertes Berufsbild eines Ingenieurs von großer Bedeutung. Darüber hinaus ist es uns neben der Vermittlung von Fachinhalten wichtig, Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, Moderations- und Präsentationstechniken zu lehren, die in der modernen Berufswelt unabdingbar sind.

Aus diesem Grund ist das Training dieser Soft Skills ein wesentlicher Bestandteil der Lehrveranstaltungen. Zurzeit werden drei Lehrveranstaltungen angeboten. In der Lehrveranstaltung »Einführung in das Verkehrswesen« werden die Studierenden des Verkehrswesens zum ersten Mal an ihr Studienthema und dessen Auswirkungen auf Umfeld und Gesellschaft und an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt. Darüber hinaus werden zwei Projektlehrveranstaltungen jeweils im Bachelor- und Masterstudiengang angeboten. Hier sollen die Studierenden selbstständig ein Thema bearbeiten. Weitere Informationen hier