Das Ortsregister ist eine Auflistung von, für die Herausgeberinnen Nadine Marquardt und Verena Schreiber relevanten Orten der Gegenwart. Es bietet eine Auswahl an 46 Orten, die auch Räume bzw. Zeiträume sowie Begriffe erfasst, die auf konkrete Räume und Orte verweisen oder raumwirksam werden. Die Herausgeberinnen beziehen sich auf einen durch den alten Drachen „Spatial Turn“ hervorgerufenen Paradigmenwechsel in den Geistes und Sozialwissenschaften und bieten Räume an, in denen gesellschaftliche Beziehungen praktiziert oder sichtbar werden. Schwerpunkt sind konkrete Orte, die die Beziehungen und deren Rahmenbedingungen repräsentieren oder erst ermöglichen. Auf diese Weise entspannen sich, jenseits der großen Narrative, viele kleine gegenwärtige Erzählungen, die auf unterschiedliche Stufen skalierbar sind.

Abb.: Transcript Verlag

Die einzelnen Essays wurde von jeweils unterschiedlichen Autoren und Autorinnen verfasst und folgen somit auch individuellen Schwerpunkten und Sichtweisen, die teils in literarischer, teils wissenschaftlicher Sprache verfasst sind, womit das Buch auch eine neue Leserschaft außerhalb der originär adressierten Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften gewinnen könnte.

Die knappe Einleitung hilft das Ansinnen der Herausgeberinnen einzusortieren und einen Weg durch den Band zu finden. Da das Buch nicht chronologisch verfasst ist, sondern die Artikel alphabetisch sortiert anbietet, kommt eine vorgefertigte Lese- und Verstehensrichtung nicht auf, sondern fordert die Leser und Leserinnen eigene Wege oder Konstellationen zu finden. Dies gelingt vor allem deshalb sehr gut, da die einzelnen Essays mit zwischen vier und acht Seiten genügend Spielräume für eigene Ergänzungen und weitere relevante Orte lassen. Das Lesen wird somit eher zu einem im positiven Sinne leichten nebenbei-Denkvergnügen, denn das Buch lässt sich gut in der U-Bahn herausholen und eine weitere Wegmarke lang lesen.

Die Liste der ausgewählten Orte sind bei weitem nicht abschließend, wie sollten sie auch, da ja jede/r eigene Vorstellungen und relevante Orte besitzt. Die sind vielmehr als Anregung gedacht die eigene Erlebenswelt zu reflektieren und nach Verbindungen zwischen Individuum und Struktur, nach Persönlichkeit und Funktion, nach Gesellschaft und Raum zu suchen. Am Ende kann jede/r seine individuellen gegenwärtigen Räume ergänzen und diese ebenfalls in Verbindung mit den möglichen Konstellationen bringen.

So kann der „Dark Room“ auch zur „Black Box“ werden und auf das Gesellschafts-phänomen des „black-boxings“ verweisen oder der „Übertragungsweg“ und die „Zeit“ als Orte im Sinne von Pierre Noras Doppeldefinition des „Lieux“ als „Ort“ und „Anlass“ ausgelesen werden, zu dem sich temporäre Ereignisse, wie „Fanmeilen“ oder „Krisenregionen“ gesellen. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, die weitere Betrachtungen über Orte, wie „Nicht-Orte“ oder „Un-Orte“ bieten, die dann wiederum auf „Terminals“, Spas“, „Resorts“ „Lounges“ oder „Rechenzentren“ oder in den Bereich der Utopie verweisen.

Letztlich zeigt sich, und das ist ein großer Verdienst des Buchs, dass die Dinge sehr weit von einander entfernt sind; teilweise so weit (die Erde ist keine Scheibe!), dass sie auf der jeweils anderen Seite beinahe wieder aneinanderstoßen.

Herrlich, welche Möglichkeiten und Verknüpfungspunkte dieses Buch bietet und gut dass bald Weihnachten ist, denn einem so flammenden Plädoyer für zeitgemäße Narrative sollten wir alle eine Chance geben. Also, wünschen oder verschenken, in jedem Fall ist es eine wahre Freude!

 

„Ortsregister“

Herausgeberinnen: Nadine Marquardt und Verena Schreiber

Erschienen im Transcript Verlag (Oktober 2012)

Broschur, 320 Seiten ohne Abbildungen

Preis € 26,80; EAN 978-3837619683

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