Ein 45stöckiges Hochhaus mitten in Caracas, Venezuela, welches nie fertig gestellt wurde, jahrelang leer stand und nun von circa 3000 Menschen halblegal und selbstverwaltend bewohnt wird, das ist Torre David. Das Team von Urban-Think Tank beschäftigt sich bereits seit 10 Jahren mit den Wohngegenden, die benachteiligt von Regierung und Investoren sind oder denen sogar jegliche Unterstützung verwehrt bleibt. So auch Torre David. Im Rahmen ihrer Untersuchungen entstand dieses Buch, welches Einblicke in die Entstehung, die Gründe für den Abbruch des Baus, den Leerstand und die einsetzende informelle Inanspruchnahme als Wohnort anschaulich bebildert liefert.

Lars Müller Publishers

Abb.: Lars Müller Publishers

 

Urban-Think Tank bezeichnet sich selbst als „Design firm“, was man auch sofort bei der Aufmachung des Buches spürt. Die Gestaltung ist überaus ansprechend und hochwertig. Der Inhalt wird abwechslungsreich und aufgelockert präsentiert mit Hilfe verschiedenster Formate wie Comic, Karten und architektonischen Grafiken, deren Erläuterungen allerdings manchmal etwas dürftig und Legendenfarben zwar perfekt abgestimmt aber schwer unterscheidbar sind. Dies ist jedoch nur ein kleines Manko, was durch die großartigen Fotografien von Iwan Baan leicht wieder wettgemacht wird. Dem von seinen durch Menschen definierte Architektur-Bildern bekannten Fotografen gelingt es, die Augenblicke festzuhalten, die den Betrachter nachvollziehen lassen, welche Probleme aber auch Vorteile das Leben in Torre David haben kann. Darüber hinaus wird durch die Fotografien das im Text hervorgehobene Eigenengagement, ohne welches das Funktionieren der Community nicht möglich wäre, unterstrichen.

Der Fokus des Buches liegt auf den architektonischen Entwicklungen des Hochhauses bisher und die Chancen, die es bietet, streift jedoch immer wieder auch soziale Fragen. Besonders interessant sind daher die Einblicke in einige der selbsteingeteilten Wohnungen und deren Teilnutzungen beispielsweise als Kiosk. Ebenso die verschiedenartigen Ausgestaltungen, welche sich je nach handwerklichen Fähigkeiten, bisheriger Länge des Aufenthaltes und monetären Mitteln zum Teil erheblich unterscheiden. Eine ergänzende Sozialstatistik wäre also sehr informativ, wenn auch im Rahmen dieses Buches nicht essentiell.

Die Geschichte des Torre David ist sehr gut nachzuvollziehen, ebenso wie die Vorschläge, die das Team des Urban-Think Tanks liefert. Inwiefern diese in die Tat umgesetzt werden, wird jedoch zu Recht von den Autoren selbst in Frage gestellt, da zum Einen die Community Veränderungen von außen kritisch gegenüber steht, zum Anderen experimentierfreudige Investoren benötigt werden, um innovative und flexible Lösungen zu implementieren, welche zu den Bedürfnissen der Bewohner passen. Im abschließenden Teil des Buches „Potential“ sowie im Nachwort von Christian Schmid wird schließlich noch einmal einprägend zusammengefasst, welche Lehren aus der Entwicklung Torre Davids gezogen werden können und welche bisher feststehenden Begriffe der Architektur und Stadtentwicklung in diesem Zusammenhang überdacht werden sollten.

„Torre David – Informal Vertical Communities“ ist nicht nur ein beeindruckender Bildband und vermittelt eine architektonisch designorientierte Zukunftsvision, es stellt ebenso kritische Fragen und verdeutlicht die Bedeutung, welche Torre David haben kann, wenn man es lässt. Dies wird sicherlich auch im sich im Entstehungsprozess befindlichen Film wieder aufgegriffen, dessen Trailer bereits vielversprechend ist.

Urban-Think Tank gewann zusammen mit Justin McGuirk und Iwan Baan den Goldenen Löwen der Biennale di Venezia 2012 mit ihrer Installation “Torre David/Gran Horizonte”.

 

Torre David – Informal Vertical Communities
Herausgegeben von Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner,
Urban-Think Tank Lehrstuhl für Architektur und Städtebau, ETH Zürich
Fotografien von Iwan Baan
Erschienen bei Lars Müller Publishers (Oktober 2012)
Hardcover, 416 Seiten, Englisch
Preis: 45,00€, ISBN: 978-3-03778-298-9
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