Das Tiny House von Architekt Van Bo Le-Mentzel im Studentendorf Schlachtensee

Als mich eine Freundin auf den Facebook-Post des Studentendorfs Schlachtensee hinwies, war ich als Tiny House Fan sofort Feuer und Flamme: Man konnte sich bewerben, zwei Tage und Nächte im Tiny House des Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel zu verbringen, das einen Monat lang auf dem Gelände der Wohnanlage für Studierende in Berlin-Nikolassee steht. Wie lebt es sich auf 6,4 Quadratmetern? Das sollte ich 48 Stunden lang in einem Selbstversuch testen können.

Die Bewerbung für das Experiment war völlig unkompliziert. Per E-Mail konnte man angeben, an welchen Tagen im Februar 2019 man für jeweils zwei Nächte in dem Tiny House wohnen könnte. Wohl selbst etwas überrascht von der Flut an Bewerber*innen erklärte die Leitung des Studentendorfes, man würde per Los entscheiden. Ich war unter den glücklichen Ausgelosten und begann fortan, mich im Geiste bereits auf meine Zeit im Quadratmeterminimum einzustellen.

Das Tiny House wurde von dem Architekten Van Bo Le-Mentzel mit dem Ziel gebaut, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Geplant sind 100 Euro Monatsmiete für die Holzhütte mit 6,4 Quadratmetern, die aktuell auf einem Anhängergestell steht und somit mobil ist. Ausgestattet ist das Tiny House mit einer Wohnzimmernische mit Sitzecke, einer kleinen Küche und einem Bad mit Dusche. In der oberen Etage, die über eine Leiter zu erreichen ist, befinden sich das Bett und ein kleiner Schreibtisch.

Die Wohnzimmernische mit Blick vom Hochbett

Das Studentendorf Schlachtensee folgt mit dem Experiment seiner Tradition als Labor für modernes Wohnen. Im Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre entstand es im damaligen West-Berlin als Wohnstätte für Studierende der Freien Universität. Eine demokratische Gemeinschafskultur lag dem Studentendorf zu Grunde, mittlerweile steht es als internationales Kulturdenkmal unter Denkmalschutz und wird seit Jahren sukzessive saniert.

Mein Einzug rückte immer näher und ich hatte mir bewusst vorgenommen, das Tiny House auf seine Alltagstauglichkeit zu überprüfen. Am ersten Abend bereitete ich mich auf ein Essen vor, dass ich für zwei Freunde kochen wollte. Und da fiel mir auch schon die erste Herausforderung auf: Der Wohnraum überzeugt zwar mit seiner lichten Höhe von über drei Metern und wirkt somit großzügig, jedoch ist die Kopffreiheit über der Küchenarbeitsplatte durch das über der Arbeitsplatte angebrachte Regal sehr eingeschränkt. Gebückt und mit der nur einen zur Verfügung stehenden Kochplatte bereitete ich mein Dinner vor, als bereits meine Gäste eintrafen.

Zunächst nicht gefunden hatte einer der beiden das Tiny House, dabei steht es doch prominent auf dem Hauptplatz des Studentendorfes. „Ich habe mir das Haus ja in einem etwas natürlicheren Setting vorgestellt“, gab mein Gast zu bedenken. Und tatsächlich, die Lage des Tiny House auf dem auf dem gepflasterten Platz entsprach auch nicht ganz meiner Wunschvorstellung. Schließlich wird die Tiny House Bewegung häufig mit einer gewissen Naturnähe assoziiert.

Seinen Ursprung hat das Tiny House Movement in den USA, wo es insbesondere seit der Finanzkrise einen erneuten Popularitätsschub erfuhr. Neben der offensichtlichen Kostenersparnisse liegt für viele Interessierte der Reiz an einem Tiny House auch in dem Nachhaltigkeitsaspekt, denn beim Bau und Unterhalt eines Tiny House werden deutlich weniger Fläche und Rohstoffe verbraucht als bei konventionellen Häusern. Mit einigen Jahren Verspätung schwappte der Trend auch nach Deutschland, wo man aktuell bei keiner Landesgartenschau oder Baumesse darum herumkommt.

Abendessen im Tiny House

Das Abendessen nahm seinen Gang, für drei Personen war in der Wohnzimmerecke ausreichend Platz. Meine Freundin merkte jedoch an, dass sie sich die Innenausstattung des Hauses noch intelligenter vorgestellt habe. Der Grundriss erschien uns allen dreien zwar gut geplant, jedoch spart das Tiny House an Multifunktions-Gadgets, die man aus anderen Tiny Houses kennt. So gibt es kein herunterkurbelbares Bett, und auch kein Regal, das zum Tisch umgebaut werden kann. Da hatten wir uns in unseren kühnsten Träumen mehr erhofft.

Je später der Abend wurde, desto neugieriger war ich auf das Schlafgefühl im Tiny House. Nachdem sich meine Freunde verabschiedet hatten, kletterte ich in mein Schlafgemach, wo ich dank der großzügigen Deckenhöhe trotz der Lage im „zweiten Stock“ ein angenehmes Raumgefühl hatte. Einzig die um mein Haus herumstapfenden Bewohner*innen des Studentendorfes schränkten meine Entspannung etwas ein: „Guck mal, da ist noch Licht“ oder „Was ist dieser Container hier eigentlich“ hörte ich durch die Holzwände.

Das Bett im Tiny House

Am nächsten Morgen bemerkte ich dann schmerzlich, dass das Studentendorf tatsächlich für Studierende der Freien Universität geplant wurde. Für den Weg zu meiner Arbeit in den Wedding musste ich eine Fahrtzeit von über einer Stunde einplanen.

An meinem schon letzten Abend setzte ich mich dann noch einmal intensiver mit dem Haus auseinander. „Kann ich mir selbst vorstellen, langfristig in einem Tiny House zu wohnen?“ fragte ich mich. Ich kam zu dem Schluss, dass mich die gewissen Einschränkungen der vergangenen Tage nicht massiv gestört hatten. Als fast befreiend empfand ich das Wissen, überhaupt nicht deutlich mehr Gegenstände mitgebracht haben zu können. Jedoch fehlte mir ein entscheidender Faktor doch tatsächlich schmerzlich: die Naturverbundenheit. Durch die Fenster sah ich den gepflasterten Platz des Studentendorfes, zudem hatte ich die Vorhänge meist zugezogen, um etwas Privatsphäre zu genießen.

Und so ist mir seit meiner Tiny House Experience klar: Sollte ich mich selbst in der Zukunft für ein Leben im Tiny House entscheiden, so muss der Ausblick aus dem Haus heraus ein anderer sein. Wenn man schon in der Quadratmeterzahl so eingeschränkt ist, will man wenigstens den Ausblick in die Ferne genießen können.

Das Tiny House von Architekt Van Bo Le-Mentzel steht noch den ganzen Februar im Studentendorf Schlachtensee. Nach Ablauf der Testphase soll von den Bewohner*innen in einem Workshop Feedback gesammelt werden und erörtert werden, ob und wie Tiny Houses eine Zukunftslösung zur Unterbringung von Studierenden sein können.