… im DAM, im Historischen Museum Frankfurt, als Katalog und im „Real Life“

Blick in Frankfurts neue Altstadthöfe, September 2018.

In Frankfurt eröffnete – ja, eröffnete – am Wochenende die neue Altstadt mit Drohnenshow, Ochsenbraten, Festreden und 150.000 Besucher*innen. Einiges wurde bereits über das Projekt geschrieben. Viele Journalist*innen und Fachleute sind von der neuen städtebaulichen Situation recht begeistert, aus manchen Federn kommt große Kritik an dem Projekt. So hat Stefan Trüby im Frühjahr daran erinnert, dass die Initiative zum Wiederaufbau der Altstadt von ganz rechts außen kam und ein Bündnis aus Architektur und Wissenschaft mahnte daraufhin an, Rekonstruktionsprojekte daraufhin zu beobachten, ob sie von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen für ihre Argumentation und Legitimation lanciert oder genutzt werden (urbanophil berichtete). Vor wenigen Wochen hat Philipp Oswalt in der Zeit die fragwürdige sozial- und wohnungspolitische Prioritätensetzung der Stadt Frankfurt thematisiert, die das 200 Millionen Euro teure Bauprojekt in der Frankfurter Innenstadt großzügig unterstützte, obgleich damit lediglich 80 Wohnungen im Luxussegment geschaffen wurden, die den angespannten Frankfurter Wohnungsmarkt nicht entlasten werden.

Es ist auch fast alles gesagt, was man zu Architektur und Städtebau der Frankfurter Altstadt beisteuern kann, positiv wie negativ. Die weitere Rezension erbringen nun die bereits zahlreichen Tourist*innenführer*innen in historischen Kostümen, die eifrig den erstaunten Besucher*innen erzählen, dass es die Altstadt bis vor wenigen Wochen gar nicht gab. Daher werden hier zwei wissenschaftliche Ausstellungen und ein Buch vorgestellt, die parallel zur Altstadteröffnung gezeigt werden und diese reflektieren. Sie sind sehr relevant und verdienen unbedingt einen Besuch bzw. Lesezeit: die erst kürzlich eröffnete neue Dauerausstellung des Historischen Museums Frankfurt, die Ausstellung „Die immer neue Altstadt – Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM) und den umfangreichen Katalog zur Ausstellung, den Philipp Sturm, Peter Cachola Schmal und Moritz Röger herausgegeben haben.

Quelle: wikipedia, Simsalabimbam

Neubau des Historischen Museum Frankfurt, 2017 eröffnet.

Das Historische Museum Frankfurt, das Stadtmuseum, eröffnete im letzten Oktober seine neue Dauerausstellung in einem Neubau von Lederer Ragnarsdóttir Oei, der selbst unverkennbar Teil der neuen Altstadt ist und die gegenüberliegenden Ausstellungsräume im historischen Stauferbau am Main ergänzt. Ein inhaltlich, kuratorisch und baulich beeindruckendes Stadtmuseum! Auch wenn es ein wenig lichtlos geraten ist in den zwei Etagen des Museumsteils „Frankfurt einst“, der sich mit der Geschichte der Stadt bis in die 1980er Jahre befasst und in der zweiten Etage noch ein wenig der stadthistorische rote Faden zu fehlen scheint. Denn allzu lose reihen sich hier Themen wie Bankenmetropole, Verkehrsinfrastruktur des 20. Jahrhunderts, Buchmesse, Futura und Paulskirche hintereinander. Fulminant ist dagegen die erste Etage von “Frankfurt einst!”, in der die bauliche Stadtgeschichte im Mittelpunkt steht und die daher mit historischen Karten und Modellen beginnt, der Zeit des Nationalsozialismus viel Raum gibt und daneben noch die Frankfurter Geschichte in 100 Objekten darstellt. Die neue Altstadt bekam einen eigenen Ausstellungsraum in der Mitte dieser ersten Etage. Sie wurde somit als zentral für die Stadtgeschichte bewertet und mit der Aufnahme in das Museum auch bereits historisiert. Aufwändig gemacht und pointiert zeigt ein teilanimierter Trickfilm die Debatte um den Wiederaufbau der Frankfurter Innenstadt seit den 1950er Jahren als „Drama in vier Akten“. Kulisse sind vier zugehörige Stadtmodelle, die, wie eigentlich das gesamte Museum, von großer Leidenschaft für das Stadtmodell als Medium für die Vermittlung und für architekturhistorisches Interesse sprechen. Es sind einige vielsagende Dokumente zu sehen, beispielsweise die erste Eingabe der BFF (Bürger für Frankfurt) an den Stadtrat mit der Rekonstruktionsforderung, die die Diskussion entfacht hat, Protokolle aus Sitzungen beteiligter Räte oder auch ältere Flyer und Petitionen zu den Bauvorhaben rund um den Römer aus den 1970er und 1980er Jahren. Einige dieser Dokumente werden in der Ausstellung im DAM übrigens auch gezeigt, und zeichnen die Debatte um die Altstadt aus vielen Perspektiven gut verständlich nach. Überraschend ist, dass das Museum sich in seinem Drama eindeutig gegenüber dem Rekonstruktionsprojekt positioniert. Wie? Ein Besuch des Museums lohnt auch jenseits dieser Antwort, aber sie ist ein guter Anlass.

Neue Altstadtgasse in Frankfurt, September 2018.

Das DAM widmet der immer neuen Altstadt sein Erdgeschoss. Philipp Sturm und Moritz Röger zeichnen nach, dass und auf welche Art die Frankfurter historische Mitte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Gegenstand von Abriss- und Neubauplanungen und entsprechenden Umsetzungen war. Es ist eine typische europäische Stadtgeschichte, die hier sehr anschaulich und mit einigen Überraschungen erzählt wird. Nicht ausgeführte Entwürfe für die zahlreichen Wettbewerbe zur Erneuerung der Altstadt im 20. Jahrhundert und einige Modelle sind sicherlich das Highlight: die Entwürfe im Fassadenwettbewerb von 1906 zum Beispiel, radikale Aufbaupläne der 1950er und 1960er Jahre, einige Megastrukturen, die das abgerissene Technische Rathaus weit übertroffen hätten, die Pläne zur Schirn und zur Saalgasse und nicht zuletzt zur neuen Altstadt. Die Ausstellung wertet nicht, sie erzählt. Und schließt am Ende den willkürlichen Kreis aus Abriss und Neubau und Nachbau mit der Geschichtes eines Baus an der Braubachstraße, der seit 2017 mit der Fassade zu sehen ist, die ihm 1913 zugedacht und 1914 verwehrt wurde. Die Ausstellung ist sehenswert, nicht zuletzt auch wegen der Ausstellungsarchitektur, die das Frankfurter Büro für Grafik und Kommunikation feigenbaumpunkt realisiert hat. Glänzend weiß sind die hohen Wände, spitz die Ecken, um die die Besucher*innen geleitet werden, um Etappe für Etappe die Altstadtgeschichte des 20. Jahrhunderts und die stadtgeschichtlichen Schätze zu entdecken, die Sturm und Röger aus zahlreichen Archiven und Privatsammlungen zusammengetragen haben. Die Ausstellung ist ein dringend notwendiger Beitrag, um die „Ausstellung, die man um die Ecke in der harten Realität betrachten kann“, wie Sturm die neue Altstadt in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung am 21. September 2018 nannte, mit historischem Wissen und mehr Tiefe betrachten zu können.

Noch mehr Informationen hält der Katalog bereit. In Essays von Philipp Sturm, Oliver Elser, Claudia Quiring, Björn Wissenbach, Gerhard Vinken und weiteren Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen und Fachjournalist*innen werden die einzelnen Wettbewerbe und Planungsetappen seit 1900 dargestellt, ein Katalogteil stellt zudem jedes neu errichtete Haus und seinen Vorgängerbau vor. Ein wunderbarer Architekturführer, der aber viel mehr ist als das und der unterschiedliche, aktuelle Positionen zum Thema aufzeigt. Edel designed wurde der Katalog ebenfalls von feigenbaumpunkt, mit mittelgrauem Leineneinband und Goldprägung, der Inhalt schwarz auf viel glänzendem Weiß, klassische Serifenschrift, innovativ gesetzt sind die Bildunterschriften, die Bilder mit feinem Strich schwarz umrahmt. Geschmackssache das Resultat, das zwischen Altbackenheit von Schriften und Bildrahmen und Zeitgenössigkeit des luftigen Layouts im Betrachter Unruhe stiften kann. Zur Altstadt passt das – auch daher – sehr gut. Warum eigentlich nur eine einzige Wissenschaftlerin in dem Buch zu Wort kommt? Ist die historische Altstadt ein männliches Thema, sowohl bei Befürwortern als auch Kritikern? Diese Frage muss hier offen bleiben.

Der Hühnermarkt im September 2018.

Die Debatte um die Altstadt und ihre Wiederherstellung war und ist eine emotionale Angelegenheit, bei Befürworter*innen und Gegner*innen. „Wir geben heute der Stadt Herz und Seele zurück“, sagte der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) bei der Eröffnung am Freitag. Gefeiert wurde in der neuen Altstadt und in der Paulskirche, für welche mittlerweile ebenfalls ein Rekonstruktionsvorschlag vorliegt. Bei aller Freude gedachte man dort am Freitag auch den Opfern von Nationalsozialismus und Weltkrieg. So wird letztlich immer wieder deutlich: Neutral betrachten oder als reine architektonische oder städtebauliche Arbeit bagatellisieren lässt sich die Wiederherstellung der Altstadt nicht. Sie kann, symbolisch gesehen, als bauliche Variante der rechtsradikalen Forderung gelten, über den Nationalsozialismus nicht mehr zu reden und stattdessen die frühere Geschichte Deutschlands stärker zu thematisieren. Der Abriss der demokratischen frühen Nachkriegsarchitektur, der Teilziel und Voraussetzung neuer Altstädte in Deutschland ist, markiert – ganz im Sinne der Rechten – auch das Ende der Nachkriegsgesinnung. Überall sind Achtsamkeit und Sensibilität das Gebot der Stunde. Auch wenn das wesentlich mehr herausfordernd ist, als den schicken Hühnermarkt mit seinen pastellfarbenen Häuschen, dem Denkmal für den Mundartdichter Friedrich Stoltze, der kleinen Weinbar, der Apotheke in spe, dem Geschäft für winterliche Porzellanfachwerkhäuschen, dem kleinen Kaffeeladen, dem schmiedeeisern versteckten U-Bahneingang, den historischen Laternen und der güldenen Madonna um die Ecke zu begucken. Ich gebe zu, auch diese Sichtweise ist emotional.

Souvenirverkauf am neuen Hühnermarkt: Fachwerkhäuschen aus Porzellan. Die Bauten der neuen Altstadt sind noch nicht zu haben.

Neue Altstadt: aktuell öffentlicher Raum und durchgehend geöffnet, U4/U5 Dom/Römer.

Die immer neue Altstadt, DAM, bis 19. Februar 2019.

Historisches Museum Frankfurt, Dauerausstellung „Frankfurt einst“.

Sturm, Philipp und Peter Cachola Schmal unter Mitarbeit von Moritz Röger: Die immer neue Altstadt / Forever new: Francfort’s Old Town. Berlin: JOVIS, 2018. 364 Seiten, 49,95 Euro.