Wenn man auf der Suche nach neuen Räumen ist, die man für eine politische Auseinandersetzung, für Diskurs und Debatte nutzen und bespielen kann, dann ist das Internet, als sogenannter Zwischenraum ein noch zu entdeckendes und nutzendes Feld. Ein momentan noch „Wilder Westen“, den es zu erobern und anzueignen gilt. Denn es ist klar, dass das Internet nicht nur vielfache gesellschaftliche Veränderungen mit sich gebracht hat und noch bringen wird, aber auf der anderen Seite noch nicht klar darstellbar ist, was dies für das Individuum genau bedeutet und welche Konsequenzen dies für eine (Stadt-)Gesellschaft hat.

Im Netz entsteht und passiert eine neue Öffentlichkeit, die Themen in eine virtuelle Späre transferiert und diskutiert. Doch die Frage “Was hat dies alles mit uns zu tun?“ wie Anja Junghans von den Urbanauten fragte blieb bisher unbeantwortet. Hierauf wurden von den Referenten unterschiedliche häufig euphorische aber auch kritische Töne gefunden: so bemerkte Dr. Küppers, der Kulturreferent der Landeshauptstadt München, in seinem Grußwort, dass es gefährlich ist, die Bewegung der “Occupy Wallstreet”-Bewegung mit der Arabellion gleichzusetzen. Vor allem deshalb, da nicht nur Zielrichtung und Motivation anders gelagert sind, sondern auch die Betroffenheit an den Themen und die Gefahr für Leib und Leben, auf die sich die Demonstranten einlassen – „Nur weil beide die gleichen Medien nutzen, sollte man aufpassen, diese zu gleichzusetzen“ wie Siegfried Benker, grünes Mitglied des Müncheners Stadtrats zustimmte. Benker, ging mit seinem Vortrag „ Stadtluft macht frei! Urbaner Protest im öffentlichen Raum von 1848 bis 2012“ in die Vergangenheit des lokalen Protests v.a. in München ein und wies auf die erstaunliche Parallelität von Methoden und Forderungen zwischen der Bayerischen Märzrevolution von 1848, der Proteste 1918/1919, den Schwabinger Krawalle 1967 und der Arabellion hin. Zentrale Aussagen waren, da Stadtluft frei macht, entlädt sich in Städten auch zuerst der Wunsch nach einem freien Leben. Städte sind Orte des beschleunigten und verdichteten Lebens und unterstützen durch diese Dichte die Selbstorganisation politischer Strömungen, so dass man sagen kann „Stadtluft macht nicht nur frei, sondern auch rebellisch“. Und da Städte als Ausdruck eines kompakten und freiheitlichen Lebensgefühls gesehen werden können, symbolisieren Proteste das „Gefühl, nicht mehr dermaßen regiert werden zu wollen“.

Die Netzaktivistin Anne Roth (Gründungsmitglied Indymedia, jetzt u.a. eigener Blog Annalist) nahm dieses auf und zeigte diesen rebellischen Charakter in ihrem Vortrag, in dem sie, entgegen dem Titel “Urbaner Protest im öffentlichen Raum in Zeiten der digitalisierten Stadt von 2012 bis 2048”, den Schwerpunkt deutlich auf den virtuellen öffentlichen Raum legte. Sie führte mit einem vertiefenden Blick auf verschiedene Formen des Webaktivismus seit 1995 ein und illustrierte neben ersten sogenannten Online-Demos, über Flash- und Smartmobs und virtuelle Sitzblockaden vor allem aktuelle Entwicklungen wie Demos gegen Vorratsdatenspeicherung und Zensursula, die sie in diesen Kontext einsortierte. Dabei zeigte sie deutlich, dass „der Protest immer konkreten Bezug zum wahren Leben gehabt“ hat und damit nicht nur virtuell blieb, wie immer wieder postuliert wird. Sondern virtueller Protest nur wirksam sein kann, wenn es ein begleitender Protest zu einem real stattfindenden Protest an einem konkreten Ort ist. Sie spürt in Deutschland eine undefinierte Angst vor den neuen Medien und plädierte für ein Vertrauen in die Möglichkeiten des Internets, denn was als gesichert gelten kann, wir stehen an einem „Wendepunkte, da die Politik des Kontrollieren-Wollens“ nicht mehr funktioniert.

Es zeigt sich also als erstes Ergebnis, und darin waren sich alle der Vortragenden einig, dass der digitale Protest nicht abgekoppelt vom „realen“ Raum stattfinden kann, sondern im öffentlichen Raum vielfach seinen Ausdruck findet, ja unbedingt einen realen Raum braucht: “Der Aufstand muss auf der Straße stattfinden, denn kein Führer wird gestürzt, weil im Internet einer den Dislike-button drückt“, wie Siegfried Benker zugespitzt formulierte. Ob es nur daran liegt, dass face2face-Kontakte elementar sind, um „Nägel mit Köpfen zu machen, weil es da um das Ganze geht“, wie Küppers sagte, sei dahingestellt.

Der digitale Wandel ist rasant und wir sind „in experimentellen Phase“, wie der Landesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen in Bayern, Dieter Janecek, sagte. Janecek, der als digiphiler Politiker über die gängigen sozialen Netzwerke täglich direkt mit den Bürgern kommuniziert, wies zudem auf die veränderten Bedingungen des politischen Alltags hin. Zum einen konstatiert er, dass man sich als öffentliche Person immer weniger dem medialen Grundrauschen entziehen kann, gleichzeitig sieht er heutzutage „eine lebendige Demokratie“ aufgrund der Möglichkeit einer digitalen Debatte, deren aktiver Teil er selbst ist, über die er eigene Themen über Blog- und Twitterbeiträge lanciert.

Der öffentliche Zwischenraum kann somit zwischen dem realen, physischen und dem virtuellen diskursiven Raum verortet werden. Er stellt die „verdichtete Debatte“ dar, wie Benker als erste Antwort auf die neue Entwicklung versuchte. Dies wurde von Ulrike Haerendl mit Bezug auf Judith Buttler und Hanna Ahrendt verdeutlicht: sie führte die antike Polis als Idealbild des Politik-Machens ein, verortet aber den “wahren Ort der Polis” im Zwischenraum des Austauschs zwischen den Menschen.

Trotz der interessanten Einblicke und ersten Versuchen einer Verortung der Themen und des Zwischenraums, blieben allerdings auch viele Fragen offen, die in die Sessions am Samstag hineingenommen werden. Das meiste Interesse galt hierbei den Fragen was dieser Wandel für politische Entscheidungen und Beteiligungsverfahren bedeutet bzw. bedeuten kann, wie weit eine Beteiligung auf beiden Seiten erwünscht ist und vor allem Sinn macht, denn Komplexitätserhöhung und Multiplizierung der Meinungen führt noch nicht zu klaren Entscheidungen, was aber die originäre Aufgabe der Politik ist. Schwarmintelligenz in Crowdsourcingverfahren für planerische Aufgaben, wie z.B. beim Leerstandsmelder und OpenstreetMap kann hilfreich sein und Mehrwert genieren, aber für die politische Wertediskussion wird diese Form der Entscheidungsfindung kritisch gesehen. Auch Fragen der Hoheit über das Internet, Netzneutralität und die praktischen Konsequenzen für den öffentlichen Raum wurden als diskussionswürdig genannt.

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Urbanophil ist Medienpartner der Tagung Revolution im Zwischenraum und berichtet während der Konferenz in Form von Tagungsberichten über die dort stattfindenden Diskussionen. Autoren sind Karsten M. Drohsel und Stefan Höffken.