Visionen, Ideen und Projektansätze für die Stadt der Zukunft sammeln und die Möglichkeiten der Zukunft feiern – das war Ziel des stattutopie festivals in Basel. Im Rahmen der Diplomarbeit von Livia Matthäus am Institut Hyperwerk for Postindustrial Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst der FHNW wurde in der Alten Markthalle Basel darüber diskutiert, wie wir in Zukunft in unseren Städten zusammenleben können und wollen.

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Die Markthalle Basel bietet frei gestaltbare Räume zum Mieten. – Eigene Fotos

»Weil morgen auch mal heute ist«

Die Markthalle, ein 1929 errichteter Stahlbeton-Kuppelbau – zu seiner Erbauung der drittgrößte Bau seiner Art weltweit – befindet sich am Rande der Basler Innenstadt. Nach dem Verkauf an einen Investor 2009 entstanden hochpreisige Ladenflächen, allerdings scheiterte aufgrund mangelnder Kundschaft das Konzept. Mit dem auf Umnutzungen spezialisierten Büro »in situ« wird die Markthalle neu belebt: Der große Innenraum unter der Kuppel wird von Street Food-Ständen genutzt, die ehemaligen Ladenflächen dienen nun als mietbare Projekträume. Als besonders spannend hat sich die Akustik beim Öffnen einer Dose in der Mitte der wirklich riesigen Kuppel herausgestellt.

In einem dieser Räume fand das stattutopie festival seinen Mittelpunkt: Eine offene Lounge mit Sofas und Sesseln verknüpfte den gastronomischen Bereich mit dem Innenraum des Festivals, eine Fotobox und eine Mitmachwand boten den bis zu 500 Besucherinnen und Besuchern der Markthalle niedrigschwellige interaktive Möglichkeiten, die auch rege genutzt wurden.

Interessant war vor allem das Format des Festivals als offene Einladung an alle: An Interessierte, die sich zu Workshops anmelden oder Referate besuchen, an Passantinnen, die nur in den Räumlichkeiten verweilen oder ihre Meinung hinterlassen oder an Kinder, die an einem Stadtspiel teilnehmen und so spielerisch ihre Ansichten und Wünsche miteinbringen. Auch die Ergebnisse sollten möglichst offen und zugänglich präsentiert werden. Aus ihnen soll eine Plattform entstehen, um auch nach Abschluss des Festivals an den gesammelten Ideen weiterzuarbeiten, sie als Anstoß für einen weiteren Diskurs und ihre Umsetzung verwenden zu können.

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Das stattutopie festival bot verschiedene Möglichkeiten zum Mitmachen: von interaktiver Zusammenarbeit in Workshops bis zum spontan-kreativen Visionensammeln an der Ideenwand. – Eigene Fotos

Workshops, Referate, Kino und viel Zeit dazwischen für Austausch und Gespräche

Referierende und Teilnehmende aus Wissenschaft, beruflicher Praxis und aus Eigeninitiative Engagierte ergänzten sich gegenseitig zu einem vielseitigen Diskussionsspektrum: Eingeladen waren für Referate etwa das »Zentrum für politische Schönheit«, das »raumlabor berlin« oder der Soziologe Ueli Mäder, der die neugewonnene Pluralität der heutigen Gesellschaft, aber auch ihre Tendenz zum Beliebigen beschrieb und die Wichtigkeit von produktiv geführten Konflikten hervorhob. Die Workshopthemen staffelten sich von der Thematik des Wohnens von Luca Varisco, bei dem über die Fragestellung »Wie können wir auf immer engerem Raum in den Städten besser wohnen?« nachgedacht wurde, über »Konstruieren statt Konsumieren« von Tobias Wiesinger, der selbst dabei ist, eine offene Werkstatt aufzubauen und die DIY-Kultur im Spannungsfeld zwischen »Einfach machen« und der Rolle als Gegenbewegung zum »konsumierenden Mainstream« erörtert wurde, bis hin zu »Einmachen – Eine alte Esskultur für die Zukunft« von Gabriel Meisel, der sich mit der Frage auseinander gesetzt hat, wie überschüssige aber leicht verderbliche Lebensmittel verarbeitet werden können. Einen eher theoretischen Zugang bedeutete die konstruktive und auf Augenhöhe geführte Diskussion mit der Grazer Sozialwissenschaftlerin Brigitte Kratzwald in ihrem Workshop »City of Commons«. Gemeinsam wurde die Idee der Urban Commons gedacht, die sich gegen die Einhegung und damit verbunden der Kommerzialisierung vor allem des öffentlichen Raumes auflehnt.

Das Publikum und die Teilnehmenden der Workshops sorgten für direkte Kommunikation und einen öffentlichkeitswirksamen Ansatz. Unterstützt wurde dies durch eine umfassende illustrative Aufarbeitung der Ergebnisse. Jeder Workshop wurde durch eine Illustratorin oder einen Illustrator begleitet: Ohne an fachlichem Wert zu verlieren, wurde so die Verständlichkeit für ein Nicht-Fachpublikum gesteigert, um dem Ziel, alle mitzunehmen und am Prozess zu beteiligen, gerecht zu werden.

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Die Referate und Vorträge am Abend boten Platz für Diskussionen. (links, eigenes Foto), Illustrationen visualisierten Inhalte der Workshops. (rechts, Lukas Künzli)

Grauzone – betreten erwünscht

Wir, die Raumstation – eine studentische Initiative der Bauhaus-Universität Weimar – waren ebenfalls eingeladen, uns mit einem Workshop an der stattutopie zu beteiligen. Mit den Teilnehmenden versuchten wir den jeweils individuellen Reiz und die Besonderheit »der Stadt« auszumachen und ließen uns mit den verschiedenen Sichtweisen auf die Stadt im Hinterkopf als Ortsfremde durch Basel leiten. »Grauzone – betreten erwünscht« war der Titel unseres Workshops, und die Grauzone wollten wir betreten. Denn die Stadt ist voller Grauzonen, in denen Neues ausprobiert, alltägliches Verhalten unterbrochen und hinterfragt werden kann.

Die Ein- und Ausgangssituationen im öffentlichen Raum – Tore, Durchgänge und Unterführungen, die jedoch das klassische Szenario eines Eingangs, hinter dem ein vom Draußen verschiedenes Drinnen wartet, selten erfüllen – faszinierten uns. An einer besonders belebten Stelle der Innenstadt wurde der an Geschäften und Lokalen vorbeiführende Gehweg von einem Baustellengerüst überlagert und in einen tunnelartigen Gang verwandelt. Ein- und ausströmende Menschen, teilweise kleine Warteschlangen erinnerten uns an das Verhalten vor einer wirklichen Eingangstür. Aber warum sollte an diesem temporären Nicht-Ort hinter dem Eingang nicht doch etwas ganz anderes auf Passanten warten?

Aus einigen Packungen Rettungsfolie, Pappen, Kabelbindern und Tape entwickelte sich die »KunstBaustelle« des fiktiven »Museums für partizipative Gegenwartskunst«. Mit goldenen Vorhängen und Schildern einen Eingang geschaffen, erschloss sich dahinter das »Museum« mitsamt Ausstellung auf der KunstBaustelle: Vier Rahmen warteten auf Gemälde, bereits mit Erläuterungsschildchen versehen — die Stifte für Passanten, also potentielle Kunstschaffende, bereitgehängt an Neonschnur.

Schon während des Aufbaus des Museums wurden die ersten besorgten Fragen und skeptischen Bemerkungen laut. Wie weit darf unsere selbsterteilte Erlaubnis zur Veränderung reichen? Wir hatten den Spielraum ausgelotet, der Gerüstbauer (»Und was ist, wenn da jetzt ein Kontrolleur vorbeikommt? Naja, bis morgen früh können sie das hängen lassen«) und der Besitzer des angrenzenden Restaurants (»Das ist doch nicht schön! Weg da, das ist unser Platz!«) setzten uns Grenzen. An dieser Stelle war die Grauzone ausgelotet.

An anderer Stelle installierten wir die KunstBaustelle erneut – als wir am nächsten Abend nachschauten, erwartete uns eine Überraschung: Mit Strahlern ausgeleuchtet, die wir tagsüber nicht bemerkten, wirkte das Museum bewusst in Szene gesetzt. Und erfreulicherweise wurden die Exponate in der Zwischenzeit durch unbekannte Künstlerinnen und Künstler fertiggestellt: Wir konnten den interaktiven, partizipativen Aspekt des Festivals aus der Markthalle in die Stadt tragen.

Zum Stadt selbst gestalten lud die die »KunstBaustelle« des »Museums für partizipative Gegenwartskunst« ein. - Eigene Fotos

Zum Stadt selbst gestalten lud die die »KunstBaustelle« des »Museums für partizipative Gegenwartskunst« ein. – Eigene Fotos

Ein riesiges Potential an gestaltungsfreudigen Menschen

»Es scheint, dass das Format Festival einen Nerv getroffen hat – indem wir das Thema Stadtentwicklung weg vom Fachdiskurs, mitten hinein in die Bevölkerung gesetzt haben«, fasst Livia Matthäus zusammen. »Wir haben bewusst keine bestimmte Zielgruppe angesprochen und damit enorm viele Leute erreicht. Das hat mir bestätigt, dass das Thema eine breite Masse persönlich bewegt und neue Wege der Kommunikation mit der Bevölkerung gefunden werden müssen, wenn man ernsthaft „Partizipation“ in der Stadtentwicklung betreiben will.«

Weiterhin betont sie, »dass es scheinbar ein riesiges Potential an gestaltungsfreudigen Menschen in der Stadt gibt, welche gut und gerne ihre Gedanken und Zeit in eine nachhaltige Stadtgesellschaft investieren, sofern sie sich ernst genommen fühlen und der Diskurs auf einer gleichberechtigten Ebene geführt wird.« Und dem können wir uns nur anschließen.

Autoren: Die Raumstation, eine Initiative von Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar, will nicht darauf warten, dass sich die Stadt von allein verändert – sie will es selbst machen. Zwischen dem öffentlichen Raum, der Stadt und ihren Bewohnern, zwischen Fenstern, Bäumen und Autos empfiehlt sie Picknicks und träumt von Brachen, lernt mit sehbehinderten Kindern, wie sich Stadt anhört und lockt mit Straßenfesten die Nachbarschaft aus ihren Häusern.

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