Teil 2: Die (urbane) Mobilität der Zukunft fährt Elektrorad!
Nachdem sich der erste Teil unseres Doppelartikels zum Thema Elektrofahräder mit der jüngeren Entwicklung in Deutschland beschäftigt hat wollen wir mit dem zweiten Teil ein Blick nach China werfen. In der sich rasch entwickelnden Volksrepublik gehören e-bikes seit über 10 Jahren zum Strassenbild. Doch der wirtschaftliche Aufstieg und das unaufhaltsame Wachstum der Städte scheint das Fahrrad als Verkehrsmittel immer weiter ins Abseits zu drängen.
Viel Spaß beim Lesen! Wir freuen uns auf Kommentare, Kritik und Anregeungen.
China und Mobilität – da denkt man zu aller erst an Beijinger Endlosstaus, Luftverschmutzung und: das Fahrrad. Doch dank dem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg des Landes wird das Fahrrad zunehmend durch das Auto ersetzt. Soweit die europäische Wahrnehmung. Der Trend ist im Allgemeinen nicht zu bestreiten, doch so einfach ist die Angelegenheit nicht. Die guten Nachrichten vorweg: Die Zahl der Fahrradfahrten hat in China über die letzten Jahre nicht abgenommen. Zudem ist das (E-)Fahrrad ein fester Bestandteil des Wirtschaftsverkehrs und Elektrofahrräder gehören seit mehr als 10 Jahren zur Alltags-Mobilität.
Mobilität made in China
Um China und sein Verhältnis zum Fahrrad zu verstehen muss man einen Blick zurück in die Geschichte werfen. Bis zum Anfang der 80er Jahre galt das Rad als Luxusgut. Auf Grund seines hohen Preises und einer nötigen Zulassung kann es durchaus mit dem Status eines heutigen Firmenwagens verglichen werden. Erst mit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes gewann das Fahrrad an Bedeutung. Das liegt zum einen an gestiegenen Einkommen und zum anderen an sich ändernden Urbanisierungs- bzw. Mobilitätsmustern. Mit dem Bedeutungsverlust der vorherrschenden Danwei (Werkssiedlung: Wohnen & Arbeiten an einem Ort) und rasch wachsenden Städten vergrößerten sich die Distanzen. Arbeiten und Wohnen waren nicht mehr an einen Ort gebunden – folglich stieg der Bedarf an Mobilität. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes konnte mit der sozio-ökonomischen und urbanen Entwicklung der 80er Jahre nicht mithalten: die Geburtsstunde „Fahrradchinas“. Städte forcierten zu dieser Zeit den Ausbau des Busnetzes- das zumeist einzig vorhandene Nahverkehrsmittel. Fahrräder waren nicht Bestandteil der neuen Nahverkehrsplanung. Doch die Zahl der Zweiräder stieg kontinuierlich an, dazu trugen auch die Probleme des neuen Busnetzes bei. Häufiges Umsteigen und hohe Fahrpreise verschafften dem Fahrrad den entscheidenden Vorteil.
China’s e-mobilisierung
Anfang des neuen Jahrtausends erfuhren chinesische Metropolen eine weitere Fahrradrevolution, die Einführung des Elektrofahrrads. Das bis dato in der Verkehrsplanung weitgehend ignorierte und als Brückentechnologie eingestufte Fahrrad wurde zum Verkaufsschlager. Zum Preis von knapp 200 Euro konnte jeder die mobile Unabhängigkeit kaufen. Mit 30 Km/h und einer Reichweite von durchschnittlich 30 Kilometern war das Fahrrad dem öffentlichen Busnetz in allen Belangen überlegen. Als Ergebnis wurden bis 2006 jedes Jahr über 50 Millionen Elektrofahrräder verkauft. Alleine in Shanghai kamen pro Jahr über eine halbe Million neue e-Räder auf die Strassen. Rasch fand die Elektromobilität auch Ihren Weg in den Wirtschaftsverkehr. Da der LKW Verkehr in vielen Innenstädten Chinas tagsüber limitiert ist, haben Elektro-Zwei- und Dreiräder den täglichen Kleinlieferverkehr übernommen. Dreiräder mit Ladeflächen, wie auch aufgerüstete Zweiräder mit seitlichen Trägern transportieren vom Sofa, über Wasserflaschen bis zur Pizza alles was sich auf den Rädern festzurren lässt. Im Vergleich zu den Lastenrädern in Deutschland ist die Kapazität der chinesischer Räder gigantisch. Denn erlaubt ist was drauf passt. Neben den privaten Transportdienstleistern setzen auch staatliche Institutionen wie die Post (Lieferräder), die Polizei (Streifenräder) etc. auf zweirädrige Elektroflotten.
E-Lastenräder: ‘Erlaubt ist was drauf passt’
Doch nicht nur die Elektroräder feiern einen Siegesszug im aufstrebenden China. Auf Grund liberalisierter Zulassungsbestimmungen und steigender Löhne nimmt die Zahl der Autos seit den 90er Jahren stetig zu. Die Verkehrsbelastung stieg seitdem rasant und durch die Abwesenheit einer umfassenden Verkehrsplanung (und Verkehrsregeln) spitzte sich die Lage auf den Straßen zu. Die Zahl der Auto-Fahrradunfälle erreichte in kurzer Zeit eine schwindelerregende Höhe. Das e-bike wurde von den Verkehrsplanern zum Problem erklärt. Der Kampf um die Straße (wie schon erlebt in Europa) zwischen den Autos, den Elektrofahrrädern, den normalen Fahrrädern und Mopeds (LPG/Elektro) hatte begonnen.
Das Problem hat zwei Räder und einen e-Motor
Das größte Problem der Verkehrsplanung war und ist die Organisation der verschiedenen Geschwindigkeiten. Durch das traditionelle Muster der chinesischen Urbanisierung mit großen Blöcken haben die Städte verhältnismäßig wenig Straßenfläche (zum Vergleich London 40%, Shanghai 9%). Dadurch ist die Straßenhierarchie (Haupt-, Verteiler-, Anliegerstrasse) schwach ausgeprägt und so gibt es nur wenige, dafür aber sehr groß angelegte Verkehrskorridore auf denen der Verkehr untergebracht werden muss.
Verkehrskorridore in Shanghai: ‘Platz für Fahrräder?
In der heutigen Planungspraxis lassen sich durchaus Parallelen mit der westlichen Verkehrsplanung der 60er und 70er Jahre, in denen die autogerechte Stadt das Maß aller Dinge war, finden. Das Ergebnis ist eine Vernachlässigung der Belange der Fahrradfahrer.
Ein aus europäischer Sicht überraschender Aspekt, der den Umgang mit dem Fahrrad in der Planung beeinflusst, sind die Öffentlichen Nahverkehrsmittel (ÖPNV). Anders als in Europa, wo Fahrrad und ÖPNV immer mehr zusammengedacht werden, gilt in China eine andere Logik. Seit dem Ende der 90er Jahre haben chinesische Städte massiv in den U-Bahnbau investiert. Shanghai z.B. hat mittlerweile das längste U-Bahnnetz der Welt. Doch seit der Einführung der Elektrofahrräder mit all ihren Vorteilen (Fahrplanunabhängigkeit, kein Umsteigen, niedrigerer Preis) fing die Zahl der Benutzer von Bus und Bahn an zu stagnieren. Die Verwaltung reagierte darauf mit der Strategie Fahrradfahrer verstärkt in die U-Bahn bringen zu wollen. Auf den ersten Blick ein dreifacher Gewinn: Eine Erhöhung der Verkehrssicherheit, eine Entlastung der Verkehrsflächen und eine schnellere Amortisierung der hohen Investitionen in den Metrobau. Dazu genießt die U-Bahn in China ein hohes Ansehen als schnelles, effizientes und vor allem modernes Verkehrsmittel. Das Fahrrad hingegen wird in der mobilen Entwicklung Chinas eher mit hohen Verkehrsrisiken, Rückschritt und sozial Schwächeren assoziiert. So richtig geht der Plan, die Fahrradfahrer U-Bahn fahren zu lassen, allerdings nicht auf. Untersuchungen haben ergeben, dass Fahrradfahrer zum einen nicht bereit sind ihre Freiheit aufzugeben und zum anderen die Ticketpreise erheblich gesenkt werden müssten um sie zum Umstieg zu bewegen.
Fancy urban looks: ‘Zaha Hadid & Fahrrad eher uncool’
Hier wird eine Lücke zwischen dem rasantem wirtschaftlichen Aufstieg und der fortschrittsorientierten Planung, sowie der Lebensrealität vieler Stadtbewohner deutlich. Um dem „rückwärtsgewandten“ Drahtesel Herr zu werden haben einige Städte bereits begonnen ihre Innenstädte für den Fahrradverkehr zu sperren, so z.B. Shenzhen. Dass es im Zentrum trotzdem neu angelegte Fahrradwege gibt, zeigt das auf allen Straßen sichtbare Problem: Die meisten Städte verfügen über eine Vielzahl an Fahrradwegen (und Fahrradwegetypen) doch durch die Priorisierung des motorisierten Individualverkehrs und des ÖPNV ist das Fahrradwegenetz oftmals Stückwerk oder eine Aneinanderreihung von Kompromissen. So werden zum Beispiel Hauptverkehrsstrassen, die als zu eng (oder repräsentativ) für den Fahrradverkehr eingestuft werden, für diesen gesperrt und Fahrradkorridore auf parallel verlaufenden kleineren Straßen angelegt.
Verschiedene Fahrradwege & Nutzungsregeln. Rechts unten: Beschränkung des Fahrradlieferverkehrs
E-Bike und jetzt?
Was den Stand der Technik betrifft, kann ein chinesisches E-Bike sicherlich nicht mit europäischen Modellen mithalten. Der Markt fordert es aber auch nicht. Gesucht wird die preiswerte, schnelle und flexible Mobilität die ein E-Bike bietet. Eine emotionale Bindung zum Fahrrad oder auch einen Lifestyle der damit verbunden wird gibt es in China nicht. Auch der in Europa oft in den Vordergrund gerückte Umweltdiskurs ist in China nicht in die Nähe des neuen Rads zu bringen. Elektrofahrräder haben zwar einen wichtigen Beitrag dazu geleistet die Emissionen von Mopeds und anderen Zweitaktern in den Städten zu begrenzen, doch müsste dieser im Gegenzug mit den Umweltkosten der Bleiakkus und dem „vertanktem“ Kohlestrom (Chinas Stromhunger wird zum Großteil von Kohlekraftwerken gedeckt) verrechnet werden.
Größtes Problem der E-Bikes aber ist die Abwesenheit einer übergreifenden Strategie für den Fahrradverkehr. Der planerische Umgang mit dem Fahrrad offenbart, dass auf Grund des hohen Entwicklungsdrucks die chinesische Verkehrsplanung aktuell produktionsorientiert ist. Vornehmlich geht es um die schnelle Herstellung von Straßenland zur Erschliessung von neuen Entwicklungsgebieten. Jährlich werden in China weit über 50.000 Kilometer Haupterschließungsstraßen gebaut. Ein Verkehrsmanagement, das den Verkehr nach einem ganzheitlichen Ansatz optimiert und die Belange der verschiedenen Verkehrsteilnehmer ausgleicht, ist hingegen noch schwach ausgeprägt.
Wie die Zukunft der E-Bikes und des Radverkehrs in China im Allgemeinen aussieht lässt sich schwer vorhersagen. Pro Kopf gemessen besitzen die Chinesen sehr viel mehr Fahrräder als die Deutschen. Zudem werden immer noch ca. 30% aller Fahrten mit dem Fahrrad absolviert. Die in Deutschland relativ(!) langsam vorranschreitende „e-mobilisierung“ des Fahrradverkehrs wurde in China innerhalb kürzester Zeit vollzogen. Der Mut zum inkrementellen Vorgehen bei der Entwicklung von Elektroantrieben und die Toleranz gegenüber Unausgereiftheiten (wie z.B. dem schweren, aber kostengünstigen Bleiakku) hat China in puncto e-mobility einen großen Schritt vorangebracht. Seit nun mehr zehn Jahren sind E-Bikes in China ein massentaugliches Verkehrsmittel. Wohin die Entwicklung in den kommenden zehn Jahren gehen wird, wird weniger vom Stand der Technik als von der Gesinnung der Verkehrsplaner abhängen.
Wohin mit der e-mobility?
Bilder: Nikolas Neubert
Zum ersten Teil des Doppelartikels